Verhandeln - wo eigentlich nicht?

In diesem Artikel möchte ich mich mit "Verhandlungsführung" beschäftigen. Das klingt immer so nach Gebrauchtwagen kaufen und danach, was Konzerne so machen. Oder was ich denke, was die machen.
Aber wenn man mal genauer hinschaut, kommen Verhandlungen fast überall vor: bei Arbeitsterminen (sowohl mit Externen, als auch mit den eigenen Kollegen), bei Bewerbungsgesprächen, bei Absprachen mit Freunden und vielleicht sogar darüber, wer in der Wohnung den Mülleimer  runter bringt.

Manche Verhandlungen sind wichtiger als andere, und dafür habe ich mich mal im Internet ein bisschen schlau gemacht. Empfehlen kann ich einen Artikel von Iris M. Vanck hier.

Vorher:

  • Was ist das Minimum, das ich erreichen will?
  • Was habe ich zu bieten?
  • Wer ist mein Gegenüber
  • Welche Ziele verfolgen die anderen?
  • Welche Nebeneffekte entstehen evtl. für mich und für die anderen?
  • bei mehreren Personen: Welche Dynamik herrscht zwischen den Einzelnen? (Wer ist auf meiner Seite, wer neutral, wer blockiert?)
  • Welche Unterlagen muss ich mitnehmen?

Währenddessen:

  • Welche Formalitäten, Floskeln finden am Anfang statt? Was ist dabei meine Rolle?
  • Schweigen kann Souveränität vermitteln - Zeit nehmen zum Nachdenken
  • Am Anfang nicht zu viel reden, lieber offene Fragen stellen: Was? Wann? Wo? Wie? Wozu? (Ziele? Prioritäten? andere Optionen? Voraussetzungen?)
  • auch gute Fragen: "Was würden Sie an meiner Stelle tun?" "Was wäre, wenn ich Ihre Position akzeptiere?"
  • Geschlossene Fragen nutzen, wenn man eine Entscheidung herbeiführen möchte
  • starke Argumente zurecht legen, dann schweigen, beobachten und abwarten
  • aufs Bauchgefühl hören

Nachher:

  • Es ist ok, zu keiner Einigung zu kommen oder die Einigung zu überdenken - besser als ein erkämpftes, unausgeglichenes Ja (das später nur neue Probleme macht)
  • Reflexion: was lief gut? Was sollte in Zukunft anders laufen?

EQR - DQR... MFG??

Es ist ja nun schon einige Jährchen her, aber wenn ich viele Abkürzungen auf einmal höre, muss ich immer an das Lied der Fantastischen Vier "MFG - Mit freundlichen Grüßen" denken. So ging es mir in dieser Woche, als ich vom EQR und DQR hörte. Was ist das denn nun eigentlich?

Fangen wir einmal chronologisch an:
Der Europäische Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (EQR) wurde eingeführt, um die unterschiedlichen Bildungsabschlüsse (z.B. berufliche Bildung, Hochschule oder Fachhochschule etc.) international vergleichbar zu machen. Im EQR gibt es 8 Stufen, die beschreiben, was ein Lernender auf dieser Stufe kann, versteht und was er in der Lage ist zu tun. Dadurch soll es auch möglich sein, eine Stufe über nicht-formale und informelle Bildungswege zu erreichen. Denn es wird nicht nur, z.B. der Studienabschluss, sondern auch die anschließende Berufserfahrung dazu gezählt.

Soweit, sogut. Die einzelnen europäischen Länder sollten anschließend den EQR an ihre eigenen Systeme anpassen. Daraus ist der Deutsche Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (DQR) entstanden.Der DQR wurde 2013 eingeführt. Es ist allerdings noch unklar, inwieweit sich nicht-formal oder informell erworbene Kompetenzen im DQR wiederfinden können. Auch im DQR gibt es 8 Stufen. Eine Grundbildung sollte man daher auf Stufe 1 vermuten. Schauen wir deswegen mal genauer in diese Stufe hinein.

Fachkompetenz:

Hier geht es um
  • "elementares allgemeines Wissen", 
  • einen "ersten Einblick in einen Lern-  und Arbeitsbereich", 
  • um "elementare Zusammenhänge" 
  • und um "kognitive und praktische Fertigkeiten, um einfache Aufgaben nach vorgegebenen Regeln auszuführen und deren Ergebnisse zu beurteilen".

Soziale Kompetenz:

Damit ist die Kompetenz beschrieben,
  • "mit anderen zusammen zu leben und zu arbeiten" 
  • und auch "sich mündlich und schriftlich zu informieren und auszutauschen".
  • Man kann "Unter Anleitung lesen und schreiben"
  • und "das eigene Handeln und das Handeln anderer einschätzen und Lernberatung annehmen"

Fazit

Die erste Stufe des DQR setzt Alphabetisierung und Grundbildung voraus. Um "sich mündlich und schriftlich zu informieren", muss man in der Lage sein, einen kurzen zusammenhängenden Text zu lesen und zu verstehen. Selbst um sich mündlich zu informieren, werden Strategien und Informationsverarbeitung auf einem Level vorausgesetzt, dem Menschen mit mangelnder Grundbildung u.U. nicht gewachsen sind.

Mit dem DQR ist ein Qualitätsrahmen entstanden, an dem 7,5 Mio der Bevölkerung von vornherein nicht teilhaben. Ob das gut oder schlecht ist, welche Konsequenzen das haben könnte oder wie man es besser oder anders machen könnte, das sind Fragen, die ich hier noch nicht umfassend beantworten kann.



Aufsuchende Bildungsarbeit

Wenn man es nicht besser wüsste, würde es einem wie ein Paradox vorkommen: Es gibt so viele Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können und trotzdem bleiben den bestehenden Kursen die Teilnehmer weg.
Was kann man da tun?

Eine Möglichkeit: Wenn die Menschen nicht in die Kurse kommen, dann müssen die Kurse zu den Menschen kommen. Sprich: aufsuchende Bildungsarbeit.
Dazu wollte ich mich an diesem Wochenende informieren. Eine erste Quelle fand ich in den Artikel von Gisela Pfaff und Andreas Dölle: "Aufsuchende Alphabetisierung zur Initiierung von Bildungsprozessen".

Die Autoren verstehen aufsuchende Bildungsarbeit in enger Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen. Diese Einrichtungen werden zunächst durch eine Schulung oder persönliche Gespräche zum Thema sensibilisiert. Sie wissen dadurch, was funktionaler An-Alphabetismus bedeutet, wie man die Menschen erkennt und ermutigend anspricht.

Die Autoren haben dann an verschiedenen Veranstaltungen der sozialen Einrichtungen teilgenommen und dabei die Klienten kennengelernt. So entstand eine vertrauensvolle Atmosphäre und manche Betroffene konnten für einen ersten Einzel- oder Kleingruppenunterricht gewonnen werden. Der Unterricht wurde in der Einrichtung vor-Ort in bekannter Umgebung durchgeführt, und bald konnten erste Erfolge gefeiert werden. Nach vier Wochen fand dann ein Gespräch mit den Lernern, ihrer Vertrauensperson in der Einrichtung und der Kursleiterin statt. Da wurde dann auch vorgeschlagen, an einem Kurs in der Volkshochschule teilzunehmen. Am ersten Tag in der VHS kam auch die Vertrauensperson mit zum Kurs. Der Übergang funktionierte und im Artikel kommt zum Ausdruck, dass sich die Lerner dort gut aufgehoben fühlen.

Als Fazit betonen die Autoren, dass aufsuchende Bildungsarbeit mit hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist. Der Vorteil wiederum ist, dass so Menschen erreicht werden können, die sonst den Weg in die Bildungseinrichtung nicht gefunden hätten. Selbst, wenn sie von sensibilisierten Multiplikatoren angesprochen und vermittelt werden, ist es noch nicht sicher, dass der Übergang in ein Kursangebot auch klappt. Mit einer 'sanften' und individualisierten Einführung ins Lernen durch Einzelangebote, kann der Weg zum Lernen leichter fallen.

Eine weitere wichtige "Warnung" der Autoren ist auch, dass diese Methode unbedingt engagierte Multiplikatoren benötigt, die sich gerne für das Thema einsetzen. "Das ist vor dem Hintergrund einer Mehrarbeit [...] nicht immer selbstverständlich. Es sollten auch bei der kooperierenden Institution keine falschen Hoffnungen geweckt werden, dass sich das soziale Engagement evtl. auch finanziell positiv auswirkt."


PIAAC und die Konsequenzen für die Grundbildung

Im letzten Monat war ich beim Sommerfest der Berliner Volkshochsschulen, auf dem Prof.Dr.Harm Kuper von der Freien Universität Berlin einen Vortrag zu den PIAAC-Ergebnissen hielt.

Jetzt ist ja zu PIAAC schon viel geschrieben und geredet worden, trotzdem hat mir der Vortrag einige Punkte noch einmal verdeutlicht. Diese Punkte will ich hier einmal - ganz persönlich ausgewählt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - sammeln.

1) die Konsequenzen von PIAAC im Vergleich mit PISA
Die Studie PISA wurde ganz klar im System "Schule" durchgeführt: Schüler wurden befragt, Schulfächer wurden getestet, mit den Schulcurricula stehen gemeinsame Standards fest. Deswegen erlaubte PISA einen Rückschluss auf die 'Systemleistung' des Systems Schule. Für Probleme (die schlechten Ergebnisse der deutschen Schüler) konnte die Schule und die Schulpolitik direkt verantwortlich gemacht werden. Der politische Druck war daher bei PISA sehr hoch, da die Verbindungen und Verantwortlichkeiten klar erscheinen.

Beim Testen der Erwachsenen in der PIAAC-Studie sind die Verantwortlichkeiten und Einflussfaktoren längst nicht so klar. Das System, das zu dem Ergebnis geführt hat, kann nicht eindeutig gefunden werden, d.h. es gibt auch niemanden, der für die Ergebnisse verantwortlich gemacht werden kann. Es betrifft eher eine so vage Kategorie, wie z.B. 'Zivilgesellschaft'.
Das heißt wiederum, dass der politische Druck auf die politischen Verantwortlichkeiten im Zuge der PIAAC-Studie auch weniger stark ausfallen werden, als es bei PISA der Fall war.


2) Zusammenhang zwischen Grundkompetenzen und der Beteiligung an non-formaler Bildung (z.B. Kursbesuchen)
Prof. Kuper hat untersucht, wie verschiedene Faktoren und die Bereitschaft, Weiterbildung (im weitesten Sinne) in Anspruch zu nehmen, zusammenhängen. Seine Ergebnisse bestätigen Vermutungen:
  • hohe Grundkompetenzen führen zu hoher Weiterbildungsbeteiligung
  • ein hoher Berufs- oder Hochschulabschluss führt zu hoher Weiterbildungsbeteiligung
  • ein hoher Leseaufwand bei der Arbeit führt zu hoher Weiterbildungsbeteiligung
  • eine bessere Lesekompetenz führt zu hoher Weiterbildungsbeteiligung
Prof. Kuper endete mit folgendem Fazit:
  • Es gibt einen großen Förderbedarf bei den Grundkompetenzen Erwachsener. Er fordert: Grundbildung stärken!
  • Es lohnt sich, in die hohe Bildung von Kindern zu investieren, denn das führt automatisch zu hoher Weiterbildungsbeteiligung im Erwachsenenalter.
    Er fordert: Bildungsverläufe sichern!

Die Stimme der Lernenden

Mit einem Video hat die Selbsthilfegruppe Oldenburg an das Manifest der Lernenden aus dem Jahr 2012 erinnert. Das Manifest fasst zentrale Aufgaben der Grundbildungsarbeit ganz wunderbar zusammen.

Ich finde die Erinnerung daran richtig und wichtig und möchte deshalb auch hier das Video zeigen:



Wir fordern:

  1. Eine Stimme zu haben in Europa.
  2. Mehr Investitionen im Bereich Erwachsenenbildung, vor allem für das Schreiben, Lesen, Rechnen und Computerkenntnisse.
  3. Direkte Teilhabe an Grundbildungsprojekten und -zentren.
  4. Spezielle Schulungen für Trainer in der Erwachsenenbildung.
  5. Ein Mitspracherecht in der Politik und bei der Konzeption von Bildungsprogrammen.
  6. Die Einbindung von Politikern in unser Manifest und Vereinbarungen zu spezifischen Verpflichtungen.
  7. Die Verbreitung dieser Worte in der Welt, um mehr Kontakt zu mehr Lernenden aus verschiedenen Ländern zu knüpfen.
Das vollständige Manifest findet man hier.

Pressearbeit

In der Alphabetisierung und Grundbildung muss noch viel Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden. Durch Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträge können viele Menschen vom Thema erfahren.
Hier eine Checkliste, die ich mir als kleine Hilfe für Presseinterviews
erstellt habe:

Vor dem Interview:

  • Kernbotschaft(en) formulieren
  • überlegen, welche Fragen gestellt werden könnten, und was man darauf antworten möchte

Absprachen:

  • live oder mitgeschnitten?
  • wie lang?
  • welches Ziel hat der Interviewer? Was will er oder sie vermitteln?
  • nach Aufwandsentschädigung fragen. Das Geld kann gespendet werden oder den Selbsthilfegruppen zur Verfügung gestellt werden [Ergänzung von Almut Schladebach - danke!]

Während des Interviews:

  • Aussagen mit Beispielen erklären
  • wo es passt, Zahlen / Prozentwerte / Statistiken nutzen
  • keine Fachwörter nutzen oder gut erklären
  • Kernaussagen betonen oder mehrfach formulieren

Nach dem Interview:

  • Absprachen zur Autorisierung der wörtlichen Zitate
  • nach Veröffentlichungstermin fragen
  • die wichtigsten Zahlen und Fakten schriftlich überreichen
  • dazu auch: Kontaktdaten oder Visitenkarte

Nachdenken und besser machen

Oh jeh, wie traurig sich die Überschrift anhört! Dabei ist das gar nicht so gemeint. Es geht heute um etwas, was ich für ganz, ganz wichtig halte, und was trotzdem immer irgendwie zu kurz kommt. Die Reflexion über das, was man da eigentlich die ganze Zeit macht und vor allem: wie man es macht.

Erst einmal: Was meine ich eigentlich mit 'Reflexion'?
Man arbeitet ja im Alltag immer viel, angestrengt und häufig unter Zeitdruck. Ich bin froh, wenn ich etwas erledigt habe, von der Liste streichen und nicht mehr daran denken muss. Und dann ist schon wieder das Nächste dran. Aber es ist doch sinnvoll, dazwischen einmal kurz inne zu halten und sich das noch genauer anzuschauen?

So kann man erkennen, was gut und was nicht so gut gelaufen ist. Damit verstärkt man das Positive und kann Negatives schnell verändern. So lohnen sich Fehler, weil man sie vielleicht nicht so schnell wieder macht.

Als Kursleitende verlangen wir es ja im Unterricht mehr und mehr: Lerntagebuch und Selbsteinschätzung der Lernenden ist heute Standard. Und Lehramtsstudenten wird nahegelegt, als Lehrende jede Unterrichtsstunde auszuwerten.

Und vielleicht kann man ja das auch im Arbeitsalltag hinkriegen. Ich werde jeden Abend 15 Minuten darüber nachdenken:
1.) Was habe ich gut gemacht? (bezogen auf Termine, Zeitplanung, Aufgaben, Fortschritt auf irgendwelche Ziele zu, Zusammenarbeit, Emotionaler Umgang mit irgendwas,...)
2.) Was kann ich anders oder besser machen?
3.) Welche Ideen oder Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die nahe oder auch fernere Zukunft?

Ich glaube, diese drei Punkte sind auf alles und immer anwendbar. Sicherlich kann man noch detaillierter reflektieren, mehr Kategorien finden, aber es macht wahrscheinlich mehr Sinn, alles einfach zu halten, damit es so wenig wie möglich Aufwand bedeutet. Sonst schafft man es nicht mehr und dann bleibt es ganz auf der Strecke. Ich mache das bei den ersten zwei Fragen meistens, ohne mir Notizen zu machen, die Schlussfolgerungen oder Ideen halte ich schnell in Evernote fest.


PS: Das ist heute der 100ste Blogpost - ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die meinen Blog so treu verfolgen!


Lerncafé - Lernen und Kaffee oder was?

Manche Kursteilnehmer möchten auch außerhalb der Kurszeit noch zusätzlich
Schreiben, Lesen oder Rechnen üben.

Manche Menschen haben so schlechte Erinnerungen an die Schulzeit, dass sie keinen Kurs belegen möchten und alle Situationen vermeiden, die nach Schule aussehen.

Manche Jugendliche finden die Lernumgebung einer Schule langweilig und sitzen stattdessen lieber am Computer.

Manche Menschen arbeiten z.B. nach dem Schichtsystem und können sich deswegen terminlich nicht auf einen Kurs festlegen.

Manche Menschen haben z.B. einen Vollzeitkurs belegt und arbeiten nach Kursende wieder. Trotzdem wollen sie auch nach dem Kurs im Lesen, Schreiben und Rechnen dranbleiben, damit sie nichts verlernen.

Für diese und andere Menschen könnte das Lernen in einem Lerncafé interessant sein. So ein Lerncafé ist ein möglichst netter, angenehmer Ort, in dem man einen Kaffee bekommt, zu dem man gehen kann, wann immer man mag, wo man bekannte Gesichter trifft. Und: wo man eigenständig lernen kann. Im eigenen Tempo, nach eigenen Wünschen und Zielen.

Ein Lerncafé ist für alle offen, das heißt es gibt keine Anmeldung, es ist kostenlos und es findet nicht im Kursverband statt.

Was braucht man dafür?


Es muss einen möglichst netten Ort geben mit einer Anzahl an Computerarbeitsplätzen. Auf den Computern sollte z.B. www.ich-will-lernen.de über das Internet aufrufbbar sein und auch andere Lernprogramme (z.B. Winterfest) installiert sein. Dann braucht man eine Kaffeemaschine, damit es auch wirklich ein Café ist. Und speziell ausgebildete Lernbegleiter.

Welche Vorteile bietet das Lerncafé?


Das Lerncafé soll eine andere Lernerfahrung bieten, als das, was man von der Schule her kennt. Für alle die, denen die Schulerfahrung Angst macht und gemacht hat, ist es ein Herantasten an eine neue Lernmöglichkeit. Selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Lernen ist in unserer Gesellschaft immer wichtiger - aber bildungsferne Menschen müssen diese Kompetenz, das Lernen lernen, häufig erst entdecken. An dieser Stelle kommen Lernbegleiter ins Spiel. Sie helfen, Motivation und Ziele zu formulieren, schätzen gemeinsam Lernfortschritte ein oder beraten, wenn es mal nicht vorwärts geht.

Grundbildungszentren in Deutschland

Screenshot: rgz.nds.de
Am 2.Mai wurde das Berliner Grundbildungszentrum eröffnet. Mich freut das nicht nur für die Grundbildungsarbeit in Berlin, sondern auch ganz persönlich: als Mitarbeiterin dort darf ich den Aufbau des Zentrums mitgestalten.
Grund genug, sich andere deutschlandweite Grundbildungszentren anzuschauen: Wo gibt es welche und was machen die da?

Hamburg hat schon lange ein "Zentrum Grundbildung und Drittmittelprojekte" an seiner Volkshochschule. Ein spannendes Projekt sind zum Beispiel die Selbstlernzentren. An zwei Standorten, eingebunden in Quartierstruktur, gibt es Beratung und Angebote für lernungewohnte Menschen. Hier können sie in Lerncafés lernen oder sich beraten lassen, welcher Kurs am besten zu ihnen passt. In Zusammenarbeit mit Partnern werden z.B. niedrigschwellige Computer-, Gesundheits- oder Sprachkurse angeboten.

In Niedersachsen gibt es acht Regionale Grundbildungszentren (RGZ) an acht verschiedenen Standorten mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten. Gemeinsam haben sie, dass sie anderen Bildungsträgern und Volkshochschulen beratend zur Seite stehen. Zusätzlich erproben sie Konzepte und Materialien.
Die acht Standorte sind:

Braunschweig: Ähnlich wie die Selbstlernzentren in Hamburg arbeiten auch die Braunschweiger besonders an dezentralen Lernangeboten (mobilen Laptop-Kursen) in einer engen Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen, wie Nachbarschaftstreffs, Stadtteilläden,... Außerdem wurde ein Bündnis "Initiativkreis Grundbildung" aus verschiedenen Einrichtungen gegründet, die vor allem Firmen und Unternehmen für das Thema aufschließen wollen.

Göttingen: Auch in Göttingen wird die Netzwerkarbeit vorangetrieben, mit dem angestrebten "Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung Niedersachsen".

Hannover: Hier setzt man sich für die arbeitsplatzbezogene Grundbildung ein. Zwei städtische Betriebe wurden gewonnen, um deren Bedarfe zu ermitteln. Daraufhin wurden Kursangebote gestartet und Personalverantwortliche geschult.

Lüneburg: Umfangreiche Aktivitäten bündeln sich in Lüneburg. An (teilweise an verschiedenen Standorten eingesetzten) Laptops wird in Comcafés gelernt. Mit den verschiedensten Einrichtungen werden Vernetzung Kooperationen und Aufklärungsarbeit betrieben. Die neu gegründete Selbsthilfegruppe Wortblind wird unterstützt.

Oldenburg: das RGZ dort arbeitet besonders im Bereich der Family Literacy, an der Lernsoftware Beluga und unterstützt die Selbsthilfestrukturen.

Osnabrück: hat eine "Kontaktstelle Alphabetisierung" eingerichtet, an der Vernetzung, Aufklärung und Beratug Betroffener gemeinsam betrieben wird.

Stade: Da das RGZ in Stade von einem evangelischen Träger betrieben wird, werden vor allem diese Kontakte (Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen, Diakonie) in die Netzwerkarbeit einbezogen und sensibilisiert. Stade denkt über die Einrichtung von dezentralen Treffpunkten nach, an denen Menschen mit und ohne Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben miteinander ins Gespräch kommen.

Weserbergland: Die Aktivitäten wenden sich besonders an die Jugendanstalt Hameln, Verschiedenste Einrichtungen sollen über einen Runden Tisch ins Gespräch kommen. Dazu sollen lokales Radio und Zeitung für die Öffentlichkeitsarbeit gewonnen werden, wobei Leichte Sprache eine wichtige Rolle spielen wird.

Interessant ist die Evaluation der Arbeit der Niedersachsener Grundbildungszentren durch Prof.Dr.Anke Grotlüschen - hier als pdf einsehbar. 


Für Brandenburg wurde von Frau Dr. Eva-Maria Bosch auf dem Fachtag des LISUM die Ausschreibung von acht Grundbildungszentren angekündigt.
In anderen Bundesländern, wie bspw. Rheinland-Pfalz oder Sachsen gibt es bereits etablierte starke Bündnisse, die zwar nicht den Namen 'Grundbildungszentrum' tragen, aber dennoch deren Funktion ausfüllen.

Fachtag Alphabetisierung und Grundbildung in Brandenburg

Immer einmal im Jahr wird im Brandenburger Landesinstitut für Schule und Medien LISUM) ein Fachtag zum Thema Alphabetisierung und Grundbildung durchgeführt. (Hier kann man meinen Bericht für 2012 noch einmal nachlesen.) Diesmal lag einer der Schwerpunkte der Veranstaltung auf dem kleineren Bruder der Alphabetisierung: dem Lernen von Mathematik im Erwachsenenalter.

Dr.Anja Perry stellte die Ergebnisse der PIAAC-Studie im Bereich der mathematischen Kenntnisse vor.
Thomas Waldstein sprach über seine Arbeit am Modul "Mathe auf Schritt und Tritt". Hier geht es um das "Vermitteln von grundlegenden Rechenvorgängen: Grundrechenarten, das Verständnis für Brüche, Verständnis und Umgang mit Größen und Rechnen von Zwei- und Dreisatz".
Prof. Dr. Wolfram Meyerhöfer berichtete von der Erstellung eines Mathe-Lehrplans für den dvv. Einer seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte sind "mathematische Analphabeten". Für seine Forschung begibt er sich in die Praktikerrolle und unterrichtet einen Mathe-Volkshochschulkurs. Schön, wenn Wissenschaft und Praxis so zusammenkommen! Interessante und nachdenkliche Interviews mit ihm kann man hier, hier und hier nachlesen.
Er teilt Mathe-Kenntnisse in 3 Stufen auf:
  • Basis 1: Erwachsene mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen - auf dieser Stufe sind Menschen, die Rechnungen im Zahlenraum unter 20 nur zählend ausführen. Interessant ist, dass diese Lerner aber auch viele andere komplexere Rechnungen durch Kompensationsstrategien durchführen können.
  • Basis 2: Lerner schaffen auch größere Zahlenräume und entwickeln ein Verständnis für Größen so, dass sie den Taschenrechner nutzen können.
  • Basis 3: Lerner wagen sich in den Bereich des "Bürgerlichen Rechnens" vor. Darunter zählt der Stoff der Sekundarstufe I, den sich die Lerner selber wünschen. Hier geht es nicht mehr um Kenntnisse, die sie im Alltag brauchen, sondern um ökonomische und gesellschaftliche Teilhabe.
Nach der Mittagspause konnten sich die Tagungsteilnehmer für Workshops entscheiden. Ich ging zu Dr. Renate Gruhle von der VHS Oder-Spree, die Tipps und Hinweise zum Thema "Erstberatung gestalten" gab. Um einen ersten Anhaltspunkt zu haben, in welchen Kurs der oder die Betroffene passen würde, wurde der Anamnesebogen von Thomas Waldstein oder der Orientierungsrahmen Alphabetisierung und Grundbildung vom dvv empfohlen. Die lea.Diagnostik wurde von den Praktikern im Workshop als zu aufwendig für die Erstberatung eingeschätzt.

Die Tagung endete mit einer Diskussionsrunde zum Thema "Gemeinsam für Alphabetisierung und Grundbildung - Netzwerke, Alpha-Bündnisse, Runde Tische" (siehe Foto oben). Verschiedene Vertreter von Berliner und Brandenburger Netzwerken erzählten von ihren Erfahrungen mit verschiedensten Zusammenschlüssen zum Thema. Unterschiedliche Netzwerke werden aus unterschiedlichen Gründen ins Leben gerufen: um neue Erfahrungen, Forschungsergebnisse, ... zu teilen und zu nutzen, um zu sensibilisieren, um Austausch und Kooperationen anzuregen, um Praktiker an politischen Prozessen zu beteiligen, um eine Plattform für eine fachliche Auseinandersetzung zu schaffen. Wichtig ist es, die Strukturen zu schaffen, die gut zu den speziellen Situationen und Gegebenheiten passen.


Selbsthilfegruppen in der Alphabetisierung und Grundbildung

Screenshot: http://alogos.de
Man hat das Gefühl, dass mit der Aufmerksamkeit, die das Thema Alphabetisierung und Grundbildung gewinnt, auch die Anzahl der Selbsthilfegruppen zunimmt.

Selbsthilfegruppen sind laut Wikipedia "selbstorganisierte Zusammenschlüsse von Menschen, die ein gleiches Problem oder Anliegen haben und gemeinsam etwas dagegen bzw. dafür unternehmen wollen. [...] [Sie] dienen im Wesentlichen dem Informations- und Erfahrungsaustausch von Betroffenen und Angehörigen, der praktischen Lebenshilfe sowie der gegenseitigen emotionalen Unterstützung und Motivation. Darüber hinaus vertreten Selbsthilfegruppen in unterschiedlichem Grad die Belange ihrer Mitglieder nach außen."

Also, das heißt, dass Selbsthilfegruppen sich zu allererst gegenseitig unterstützen, aber viele von ihnen machen dazu noch Öffentlichkeitsarbeit. Im Folgenden versuche ich eine Zusammenstellung der unterschiedlichen Selbsthilfegruppen in Deutschland. Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen - wenn doch, dann bitte Bescheid sagen!

Selbsthilfegruppe Analphabeten Ludwigshafen

Diese Selbsthilfegruppe gibt es schon lange, offiziell seit 2003. 2005 wurde sie als "Botschafter der Alphabetisierung" vom Bundesverband für Alphabetisierung und Grundbildung ausgezeichnet. Die Laudatio zu diesem Anlass gibt viele Beispiele aus der umfassenden Arbeit der Gruppe. Zur Selbsthilfegruppe gehören unter anderem Karl Lehrer, Horst Uhrig und Thorsten Böhler.

ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg

Die Selbsthilfegruppe hat sich 2011 auf Initiative von Ernst Lorenzen und Brigitte van der Velde neu gegründet. Auch diese Gruppe ist sehr aktiv, über ihre Arbeit und ihre Ziele kann man sich hier  und hier informieren.

Alpha-Team Hamburg

Das Alpha-Team unterstützt sich gegenseitig und berät die Hamburger VHS und ihre Projekte. Infos gibt es hier und hier.

Alpha-Team Muldental

Im Muldental besteht die Selbsthilfegruppe seit 2012. Ansprechpartner ist Joachim Radtke und einen kurzen Bericht findet man hier.

Selbsthilfegruppe Dresden

Diese Gruppe hat sich 2013 gegründet. Informationen sind hier zu finden.

Selbsthilfegruppe Chemnitz

Auch in Chemnitz hat sich 2013 eine Selbsthilfegruppe gegründet. Einen kurzen Bericht gibt es hier.

Selbsthilfegruppe ABC Berlin

2013 war ein gutes Jahr für Selbsthilfegruppen! Auch in Berlin haben sich Lerner zusammengefunden, um sich auszutauschen, zu unterstützen und zu beraten.

Wortblind Lüneburg

Ganz frisch in diesem Jahr ist die Selbsthilfegruppe Wortblind aus Lüneburg. Das schöne Brillenlogo bleibt auf jeden Fall gut in Erinnerung. Dabei ist unter anderem Uwe Boldt.


Praktische Apps für Arbeit und Freizeit

Zugegebenermaßen gehöre ich zu den Personen, die eigentlich nicht mehr so richtig ohne Smartphone auskommen. Lebensnotwendig ist es nicht, aber eben ein nettes Spielzeug. Und praktisch noch dazu. Ich stelle heute meine Lieblingsapps vor - in meinem Fall fürs iPhone, aber natürlich gibt es sie so oder ähnlich auch für Android oder andere Betriebssysteme.


Zum Sammeln, Ablegen und Wiederfinden

 
Wie ich Evernote nutze, habe ich ja schon einmal hier vorgestellt. Dazu ist es auch immer schön, ein Scanner-Programm zu haben, mit dem man Zettelkram schwarz-weiß und als .pdf abspeichern kann. Ich benutze dafür JotNot Pro (hier näher beschrieben), das auch gut mit Evernote zusammenarbeitet. Es gibt sicherlich noch viele andere Programmchen, die das Gleiche machen.
Um Visitenkarten ohne viel zu tippen in die Kontakte aufzunehmen, benutze ich BCR Pro. Auch da gibt es sicher viele andere Alternativen, aber ich bin soweit damit ganz zufrieden.

Zum Informieren


Um Facebook, Twitter und andere Nachrichten zu lesen, benutze ich gerne Flipboard. Das ist nicht unbedingt unentbehrlich - aber ich finds schöner aufbereitet und besser zu lesen, als z.B. auf der Facebook-App selbst. Außerdem hat man so gleich alles zusammen - über die sozialen Netzwerke hinaus auch noch Nachrichten und Infos zu anderen Themen, wie Musik, Film, Digital, aus Berlin,... Hier hat man eine große Auswahl an Magazinen, die man abonnieren kann. Entweder thematisch sortiert, oder auch aus einer Quelle, wie z.B. Zeit online, Tagesschau,... Schön wäre es hier, wenn es zum Thema Bildung noch mehr Magazine gäbe. Aber sonst ist Flipboard praktisch, um sich seine eigene kleine Nachrichtenübersicht zusammenzustellen und morgens beim Frühstück kurz in der virtuellen Zeitung zu schmökern.

Ich mache ja wirklich nichts mehr im Haushalt, ohne dabei Podcasts zu hören. Egal, ob Wäsche aufhängen oder Bad putzen oder Kochen - eigentlich immer, wenn ich alleine bin... Auch beim Einkaufen oder U-Bahn fahren. Derzeit habe benutze ich dafür Podcruncher, aber solche Programme gibt es anders auch in Hülle und Fülle. Leider gibt es meiner Meinung nach immer noch einen so großen Qualitätsunterschied zwischen den deutsch- und den englischsprachigen Podcasts. Da sind uns in die Kollegen as Amerika z.B. qualitativ oft weit voraus. Zum Thema Bildung gibt es z.B. tolle Beiträge auf TED Education. Zum Thema Arbeitsorganisation und Zeitmanagement mag ich den Get-It-Done-Guy (auch wenn die Werbung zwischendrin stört). Als Audiobook ist Welcome to Night Vale gerade mein Favorit und von Marc-Uwe Klings Neues vom Känguru kann ich auch nicht genug haben. Vor allem beim Aufräumen.

Zum Herumkommen


Der Stadtplan verschwindet ja langsam aus dem Straßenbild. Wenn ich von A nach B muss, benutze ich Apps. Citymapper finde ich so praktisch, weil ich da in einer einzigen App für eine Strecke gleich alle möglichen Optionen angezeigt bekomme: Wie lange dauert die Strecke zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Auto, den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Taxi? Wie ist das Wetter? Wieviel kosten die jeweiligen Strecken? Und - nicht nötig aber lustig - wieviel Salatblätter, Berliner Weiße oder wieviel Sternis verbraucht man an Kalorien auf dem Weg? Andere Apps sind nur fürs Fahrrad oder die Öffentlichen oder das Taxi - Citymapper kann alles auf einmal und ist dabei auch noch hübsch anzusehen.

Sollte ich mich fürs Fahrrad entscheiden, benutze ich Bike City Guide als Fahrradnavi. Dafür bringe ich entweder das Handy an den Lenker an oder lass mich von einer netten Frau mit leichtem österreichischen Akzent durch die Stadt navigieren. Bike City Guide weiß, wo die für das Fahrrad besten Strecken sind, wie schnell ich unterwegs bin und wie lange ich noch brauche.

Zum Gesundbleiben


Dafür nutze ich zwei englische Apps. Zombies Run! hat mich zum Laufen gebracht. Früher fand ich laufen langweilig, aber jetzt habe ich dank der App immer eine kleine Geschichte im Ohr. In der muss ich für meine kleine Stadt während der Zombie-Apokalypse Vorräte sammeln - beim Laufen. Klingt seltsam? Schaut euch dieses kleine Video an...

Meditation ist auch so etwas, was ich schon immer mal gerne machen wollte, aber wofür ich im Alltag keine Zeit gefunden habe. Es darf nicht zu lange dauern und zu aufwendig sein, es muss Spaß machen und zu esoterisch sollte es auch nicht sein. Ich hatte dann Headspace gefunden, das machte Spaß, aber war mir auf Dauer zu teuer. Jetzt bin ich mit buddhify 2 sehr zufrieden. Da kann man sich für die verschiedensten Anlässe (Einschlafen, in der Stadt, in der Natur, Arbeitspause,...) eine pasende kleine Meditation anhören. Jetzt gibt's keine Ausrede mehr...

Zum Testen der Alphabetisierung

 

Die Uni Hamburg hatte 2011 die leo-Level.1-Studie herausgebracht. Diese Studie lieferte zum ersten Mal konkrete Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland zu den funktionalen An-Alphabeten zählen. Seit dem letzten Jahr gibt es eine App, mit der man seine Lese- und Schreibkompetenzen testen kann. Auch interessant, obwohl ich die App jetzt nicht im Arbeits- und Lebensalltag nutze..

Lernberatung

Ich habe gerade eine Fortbildung zum Thema "Das Lernen durch Beratung gestalten" abgeschlossen. Das
war für mich eine sehr spannende Veranstaltung. Drei der vielen Erkenntnisse, die ich dadurch gewonnen habe, möchte ich hier kurz zusammenfassen. Und ich will versuchen, das mit Beispielen aus der Alphabetisierung zu veranschaulichen.

Lernen und der Lernprozess

 

Was wir alles lernen wollen! Ein Musikinstrument, zum Beispiel, oder Autofahren oder eine Fremdsprache oder Lesen und Schreiben. Alles höchst komplexe Vorgänge - wie lernt man sie?

Fangen wir etwas kleiner an. In der deutschen Sprache werden manche Wörter groß geschrieben, andere nicht. Wie können die Lerner die Klein- und Großschreibung lernen? Möglich ist es, dass der Lehrer die Regeln in mundgerechte Häppchen verpackt und serviert. Möglich wäre es aber auch, die Lernenden selbst Vermutungen bilden. Vielleicht betrifft es alle langen Wörter? Oder alle besonders wichtigen Wörter? Oder alle Wörter, die an einer bestimmten Stelle stehen? Oder bestimmte Gruppen von Wörtern? Nach und nach werden diese Vermutungen ausgetestet. Die Aufgabe des Lehrers ist es dann, eine anregende und entspannte Lernatmosphäre zu schaffen, mit allen Materialien, die die Lerner brauchen - und vielleicht auch mal einen Hinweis zu geben, wenn es nicht weiter geht.

Die Dozenten in unserer Veranstaltung definierten Lernen so als eine "Reduktion der Komplexität" des Lerngegenstandes. Die vielen Gründe weswegen ein Wort vielleicht großgeschrieben werden könnte, werden nach und nach verworfen. Die Groß- und Kleinschreibung wird weniger komplex, wenn der Lerner herausfindet, dass alle Wörter am Satzanfang großgeschrieben werden. Die Rechtschreibung wird für ihn ein Stückchen weniger komplex, weil er sich die Groß- und Kleinschreibung erobert hat.

Dies ist also eine erste interessante Anregung: Wir Lehrer erklären einen komplexen Lerngegenstand häufig, indem wir vom Einfachen zum Komplexen gehen. Vielleicht sollte man den Spieß - wenn es sich anbietet - auch einmal umdrehen: das Komplexe erarbeiten lassen - so lange, bis es einfacher wird (als "entdeckendes Lernen" ist diese Methode ja auch schon etabliert). Das vermittelt auch, dass Fehler ganz wichtige Teile des Lernprozesses sind - und weiterbringen. Schwierigkeiten sollten nicht vermieden werden (indem der Lehrer sie von vornherein so gut wie möglich beseitigt), sondern Lerner üben beim Lernen, damit umzugehen. Sie sind Teil des Weges zum Verstehen.

Lehren und Verantwortung


Lehren ist also ein Angebote machen. Ein Vorstellen von Möglichkeiten, sich einen Lerngegenstand zu erarbeiten. Für das Erarbeiten der Formen von Buchstaben gibt es unzählige Möglichkeiten: in die Luft schreiben, in Sand schreiben, auf Sandpapier fühlen, mit Wollfäden auslegen, auf den Rücken schreiben, als Form ertasten, aus der Zeitung ausschneiden, u.v.m. Im besten Fall wählt der Lerner selbst, was zu ihm passt.

Dazu gab es eine interessante Diskussion zur Verantwortung des Lehrers. Wir Lehrer haben die Verantwortung, eine optimale Lernumgebung zu schaffen. Wir machen Angebote - aber wir haben nicht die Verantwortung dafür, dass sie vom Lerner angenommen werden. Oft denken wir, dass wir bespaßen, bemuttern und hinterhertragen müssen - und wenn sich der Lerner verweigert, dann ist das unsere Schuld. In der Fortbildung sahen wir das anders: Der Lerner ist für seinen Lernprozess selbst verantwortlich. Nur so können Lerner auch außerhalb des Kurses selbstständig sein oder werden.

Lernproblematik und Lernberatung

 

Ein Lerner möchte etwas lernen, er nutzt dafür bestimmte Methoden und hat ein übergeordnetes Ziel vor Augen. Wenn diese drei Dinge nicht im Einklang sind, entsteht eine Lernproblematik.

Diese ganz konkrete Schwierigkeit kann durch Lernberatung sichtbar gemacht werden. Und wenn etwas erst einmal sichtbar geworden und erkannt ist, dann kann es auch viel leichter bearbeitet werden. Mit der "fallbasierten Lernberatung" haben wir in der Fortbildung ein Verfahren kennengelernt. Damit kann die Lernproblematik strukturiert angegangen werden, um sie zu verstehen und neue Lernwege zu finden. Dieses Verfahren kann ich hier leider nicht vorstellen, das würde den Artikel sprengen...

An der Methodik gefällt mir gut, dass es ein Gerüst an die Hand gibt, mit dem man alles genau abklopfen kann - aber es letztendlich dem Lerner überlässt, was er aus der Lernberatung für sich mitnimmt. Es ist ein Beraten auf Augenhöhe: nicht der Lehrer oder Berater bestimmt, was richtig und gut ist. Aber dem Lerner werden Möglichkeiten und Angebote zur Verfügung gestellt. Was er davon annimmt, bestimmt er selbst.

Um überhaupt über Lernproblematik sprechen zu können, braucht man die Möglichkeit zu einem vertrauensvollen Gespräch zwischen Lerner und Lehrer. Auch das Nachdenken über den Lernprozess muss geübt werden und es muss im Unterrichtsalltag dafür den Raum geben. Das liegt dann wiederum im Verantwortungsbereich des Lehrers.

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Dieser Artikel ist weder eine umfassende Beschreibung der Fortbildung, noch die genaue Widergabe von dem, was uns die Dozenten vermittelt haben. Sondern beschreibt das, was ich für mich als Wichtigstes aus der Veranstaltung herausgezogen habe.


Was ist...? Family Literacy

So ein eigenes Kind kann das Leben gehörig auf den Kopf stellen. Von schlaflosen Nächten und Windeln einmal abgesehen, entsteht ganz plötzlich mehr Verantwortung, vielleicht auch mehr Sorgen und auf jeden Fall ein großes Stück neue Bedeutung im Leben.

Kein Wunder, dass ein Kind oft der Anlass sein kann, dass Eltern sich auch noch einmal der Bildung und dem Lesen und Schreiben zuwenden. Der irische Lerner Michael Power sagt in meinem Interview: "Als meine Kinder in die Schule kamen, wollte ich ihnen helfen können. Das war der Auslöser.". Die Lernerin Marion Karakelle antwortet auf meine Frage, warum sie noch einmal lesen und schreiben lernen wollte: "Wegen meinen Kindern und meinem Berufswunsch".

Family Literacy nutzt diesen Zusammenhang und geht noch einen Schritt weiter - es verbindet Bildungsarbeit der Eltern mit denen ihrer Kinder. Dadurch bekommt Schrift eine größere Bedeutung oder eine größere Wertschätzung im Familienalltag. Eltern können so den Lernprozess ihrer Kinder begleiten - bei den Hausaufgaben unterstützen oder Geschichten vorlesen. Aber auch andere Aspekte der Grundbildung gehören dazu. Gesunde Ernährung, beispielsweise, können Eltern und Kinder gemeinsam lernen. "Eltern sind die ersten Lehrer, die die Kinder haben; und es sind die Lehrer, die sie am längsten haben werden." (Morrow 1995: 6, meine Übersetzung). In dieser Lehrerrolle werden die Eltern im Konzept der Family Literacy  unterstützt.


Wie könnten Family Literacy-Projekte also konkret aussehen?
  • gemeinsame Bibliotheks- und Museumsbesuche
  • gemeinsame Kochkurse
  • Arbeit mit Bilderbüchern
  • in der Stadt Schrift entdecken
  • in der Werkstatt gemeinsam basteln und bauen
  • gemeinsames Singen und musizieren
  • gemeinsames Informieren über den Computer und Gefahren im Internet
  • gemeinsames Theaterspielen
  • Heranführung an Bücher durch die "Lesestadt"
  • gemeinsame Arbeit mit Lexika
  • Sprachenfeste
Diese Beispiele sind der Berliner Elternakademie, dem Oldenburger Family Literacy Projekt und dem Hamburger FLY-Projekt entnommen.


Morrow, L.M. (Hrsg.) 1995. Family Literacy Connections in Schools and Communities. Newark: International Reading Association.



ABC-Projekt

www.abc-projekt.de

Die Website des Oldenburger ABC-Projekts wurde überarbeitet und ist hübscher als je zuvor. Grund genug, die Seite und ihre Angebote hier genauer vorzustellen.
Zentral im Bildschirm sind die neusten Nachrichten und kleinen Beiträge rund um die Arbeit der Oldenburger. Im Menu oben kann man sich dann gezielt informieren - z.B. über die verschiedenen Projekte, wie abc+ (Arbeitsplatzbezogene Grundbildung bringt Chancen), das Regionale Grundbildungszentrum, die ABC-Selbsthilfegruppe und vieles mehr.
Im Bereich Downloads kann man die neueste ABC-Zeitung lesen oder herunterladen. Auch Übungsmaterialen gibt es, die ich immer gerne im Unterricht eingesetze: die Lernsoftware Beluga, Materialien zum Lernen in der Familie, Lernspiele (Primolo mag ich am liebsten) und einfache Lesetexte schön aufbereitet (Oldenburger Lesekartei). Sehr spannend finde ich auch das Angebot der Selbsteinschätzungsbögen. Es gibt Lernenden die Möglichkeit, ihren eigenen Fortschritt angeleitet einzuschätzen. Häufig sehen Lerner vor allem das, was ihnen noch fehlt und was sie noch nicht können. Die Selbsteinschätzungsbögen gehen anderes heran: Was hab ich schon gelernt, was mache ich schon besser? Mit den Bögen kann Lernern das systematisch vor Augen geführt werden, und die Kompetenz, den eigenen Lernprozess zu erkennen und zu steuern, wird geübt. Über Beluga hinaus gibt es die verschiedensten Softwareangebote. Praktisch ist hier zum Beispiel eine Clipart-Sammlung, die man als Kursleiter in eigenen Arbeitsblättern einsetzen kann.
Spaß macht es auch, Filme zum Thema zu schauen. Die Filme werden von den Oldenburgern selbst hergestellt und man bekommt einen guten Eindruck von der Arbeit in der VHS und der Lebenswelt der Lerner. 
Also: für LernerInnen, für KursleiterInnen und für alle anderen Interessierte eine tolle Fundgrube!