Lernberatung

Ich habe gerade eine Fortbildung zum Thema "Das Lernen durch Beratung gestalten" abgeschlossen. Das
war für mich eine sehr spannende Veranstaltung. Drei der vielen Erkenntnisse, die ich dadurch gewonnen habe, möchte ich hier kurz zusammenfassen. Und ich will versuchen, das mit Beispielen aus der Alphabetisierung zu veranschaulichen.

Lernen und der Lernprozess

 

Was wir alles lernen wollen! Ein Musikinstrument, zum Beispiel, oder Autofahren oder eine Fremdsprache oder Lesen und Schreiben. Alles höchst komplexe Vorgänge - wie lernt man sie?

Fangen wir etwas kleiner an. In der deutschen Sprache werden manche Wörter groß geschrieben, andere nicht. Wie können die Lerner die Klein- und Großschreibung lernen? Möglich ist es, dass der Lehrer die Regeln in mundgerechte Häppchen verpackt und serviert. Möglich wäre es aber auch, die Lernenden selbst Vermutungen bilden. Vielleicht betrifft es alle langen Wörter? Oder alle besonders wichtigen Wörter? Oder alle Wörter, die an einer bestimmten Stelle stehen? Oder bestimmte Gruppen von Wörtern? Nach und nach werden diese Vermutungen ausgetestet. Die Aufgabe des Lehrers ist es dann, eine anregende und entspannte Lernatmosphäre zu schaffen, mit allen Materialien, die die Lerner brauchen - und vielleicht auch mal einen Hinweis zu geben, wenn es nicht weiter geht.

Die Dozenten in unserer Veranstaltung definierten Lernen so als eine "Reduktion der Komplexität" des Lerngegenstandes. Die vielen Gründe weswegen ein Wort vielleicht großgeschrieben werden könnte, werden nach und nach verworfen. Die Groß- und Kleinschreibung wird weniger komplex, wenn der Lerner herausfindet, dass alle Wörter am Satzanfang großgeschrieben werden. Die Rechtschreibung wird für ihn ein Stückchen weniger komplex, weil er sich die Groß- und Kleinschreibung erobert hat.

Dies ist also eine erste interessante Anregung: Wir Lehrer erklären einen komplexen Lerngegenstand häufig, indem wir vom Einfachen zum Komplexen gehen. Vielleicht sollte man den Spieß - wenn es sich anbietet - auch einmal umdrehen: das Komplexe erarbeiten lassen - so lange, bis es einfacher wird (als "entdeckendes Lernen" ist diese Methode ja auch schon etabliert). Das vermittelt auch, dass Fehler ganz wichtige Teile des Lernprozesses sind - und weiterbringen. Schwierigkeiten sollten nicht vermieden werden (indem der Lehrer sie von vornherein so gut wie möglich beseitigt), sondern Lerner üben beim Lernen, damit umzugehen. Sie sind Teil des Weges zum Verstehen.

Lehren und Verantwortung


Lehren ist also ein Angebote machen. Ein Vorstellen von Möglichkeiten, sich einen Lerngegenstand zu erarbeiten. Für das Erarbeiten der Formen von Buchstaben gibt es unzählige Möglichkeiten: in die Luft schreiben, in Sand schreiben, auf Sandpapier fühlen, mit Wollfäden auslegen, auf den Rücken schreiben, als Form ertasten, aus der Zeitung ausschneiden, u.v.m. Im besten Fall wählt der Lerner selbst, was zu ihm passt.

Dazu gab es eine interessante Diskussion zur Verantwortung des Lehrers. Wir Lehrer haben die Verantwortung, eine optimale Lernumgebung zu schaffen. Wir machen Angebote - aber wir haben nicht die Verantwortung dafür, dass sie vom Lerner angenommen werden. Oft denken wir, dass wir bespaßen, bemuttern und hinterhertragen müssen - und wenn sich der Lerner verweigert, dann ist das unsere Schuld. In der Fortbildung sahen wir das anders: Der Lerner ist für seinen Lernprozess selbst verantwortlich. Nur so können Lerner auch außerhalb des Kurses selbstständig sein oder werden.

Lernproblematik und Lernberatung

 

Ein Lerner möchte etwas lernen, er nutzt dafür bestimmte Methoden und hat ein übergeordnetes Ziel vor Augen. Wenn diese drei Dinge nicht im Einklang sind, entsteht eine Lernproblematik.

Diese ganz konkrete Schwierigkeit kann durch Lernberatung sichtbar gemacht werden. Und wenn etwas erst einmal sichtbar geworden und erkannt ist, dann kann es auch viel leichter bearbeitet werden. Mit der "fallbasierten Lernberatung" haben wir in der Fortbildung ein Verfahren kennengelernt. Damit kann die Lernproblematik strukturiert angegangen werden, um sie zu verstehen und neue Lernwege zu finden. Dieses Verfahren kann ich hier leider nicht vorstellen, das würde den Artikel sprengen...

An der Methodik gefällt mir gut, dass es ein Gerüst an die Hand gibt, mit dem man alles genau abklopfen kann - aber es letztendlich dem Lerner überlässt, was er aus der Lernberatung für sich mitnimmt. Es ist ein Beraten auf Augenhöhe: nicht der Lehrer oder Berater bestimmt, was richtig und gut ist. Aber dem Lerner werden Möglichkeiten und Angebote zur Verfügung gestellt. Was er davon annimmt, bestimmt er selbst.

Um überhaupt über Lernproblematik sprechen zu können, braucht man die Möglichkeit zu einem vertrauensvollen Gespräch zwischen Lerner und Lehrer. Auch das Nachdenken über den Lernprozess muss geübt werden und es muss im Unterrichtsalltag dafür den Raum geben. Das liegt dann wiederum im Verantwortungsbereich des Lehrers.

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Dieser Artikel ist weder eine umfassende Beschreibung der Fortbildung, noch die genaue Widergabe von dem, was uns die Dozenten vermittelt haben. Sondern beschreibt das, was ich für mich als Wichtigstes aus der Veranstaltung herausgezogen habe.