Akteure der Alphabetisierung: Almut Schladebach

Almut Schladebach


  • elf Jahre Lehrerin Sek I, seit 1987 „Hauptamtliche Pädagogische Mitarbeiterin“, hat das Zentrum Grundbildung an der Hamburger VHS mit aufgebaut  
  • zuständig u.a  für Öffentlichkeitsarbeit  zusammen mit dem Alpha-Team (TN Gruppe, die Öffentlichkeitsarbeit macht)  
  • hat in allen Kursstufen unterrichtet, ihr Spezialgebiet ist „Kreatives Schreiben (Buch „Schreibtage“ mit Schreibaufgaben, das Buch „Politik in Deutschland“ mit Kollegin)  
  • stellvertr. Leitung im "Arbeitskreis Alphabetisierung und Grundbildung" des DVV. Tutorin Lernportal www.ich-will-lernen.de.  
  • Projekterfahrung Ceppac, Grawira. Beirat von alphabit (Winterfest) und  z.Zt. Alpha-Unternehmen. 


1.) Warum haben Sie sich / hast du dich dazu entschieden, im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung zu arbeiten? 

Es bot sich mir die Gelegenheit von der Schule zur VHS zu wechseln, die habe ich ergriffen. Mit Erwachsenen zu arbeiten, die freiwillig lernen wollen, erschien mir sehr attraktiv. Darin habe ich mich nicht getäuscht. Das ist die pädagogische Arbeit, die ich mir immer gewünscht habe.

2.) Welche Tätigkeit hat Ihnen/dir bisher in diesem Bereich am meisten Spaß gemacht? 


Eigentlich alles:  Kreatives Schreiben mit den TN und der Kontakt zu den TN, besonders bei der Erstberatung und  Öffentlichkeitsarbeit zusammen mit dem Alpha-Team (TN Gruppe), aber auch Kursleitende fortzubilden. Am meisten befriedigt, Menschen dabei zu unterstützen, Ängste zu überwinden und selbstbewusster zu werden und das in erster Linie „nur“ durch Lesen und Schreiben.

3.) Wie sehen Sie / siehst du die Zukunft in diesem Bereich, bzw. was ist Ihrer/deiner Meinung nach derzeit das dringlichste Problem?  


Es fehlt eine einheitliche nationale Strategie und Bündelung der Aktivitäten. Zusätzlich muss jedes Bundesland ein Konzept haben. In HH wünsche ich mir z.B. seit 20 Jahren, dass alle, die mit dem Problem zu tun haben (könnten) an einem „runden Tisch“ zusammen kommen, um mehr Menschen zu erreichen. Immer noch berate ich Betroffene, die noch nie davon gehört hatten, dass es Kurse gibt.

4.) Was möchten Sie / möchtest du dem beruflichen Nachwuchs mit auf den Weg geben?  


Keine vorgefertigten Unterrichtskonzepte abarbeiten, sondern immer mit dem TN das Lernen gestalten, sich als geduldiger Lern-Begleiter verstehen. Material und Infos gibt es bei www.alpha-fundsachen.de .

5.) Was ist Ihr / dein Lieblingswort?  


Mehr als Ziel - Gelassenheit

Bundestagswahl 2013: Wahlprüfsteine

Die Bundestagswahl rückt immer näher. Wissen Sie schon, für wen Sie sich entscheiden werden?
Interessant an dieser Bundestagswahl ist, dass sie die erste Wahl nach der entscheidenden Zäsur 2011 ist - also der leo-Studie, die die Größenordnung von funktionalem An-Alphabetismus deutlich machte.
Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung hat in diesem Jahr wie schon 2009 sogenannte Wahlprüfsteine veröffentlicht, an denen sich alle großen Parteien beteiligt haben.
Worum genau geht es bei dieser Aktion?

Quelle: alphabetisierung.de
In einer ersten Übersicht werden die Aussagen der CDU/CSU, SPD, FDP, der Linken, der Grünen und der Piraten zu Alphabetisierungs- und Grundbildungsthemen zusammengestellt. Dass alle Parteien betonen, dass die Förderung von Alphabetisierung und Grundbildung wichtig und notwendig ist, verwundert nicht, und auch sind kontroverse Aussagen erst einmal nicht zu vermuten. Hier trotzdem ein paar grundsätzliche Eindrücke:
  •  viele sinnvolle Punkte werden angesprochen, darunter: "psychosoziale und sozialpädagogische Begleitung" (SPD), "auf Nachhaltigkeit angelegte Finanzierungsmodelle" (Linke), "öffentlichkeitswirksame Kampagnen" (FDP), "Stärkung betrieblicher Grundbildung als auch die Etablierung von familienorientierten Angeboten" (SPD)
  • die Rolle von Lerner-Experten hat Bedeutung auf vielen Ebenen: Sensibilisierung in Bertrieben (CDU), Öffentlichkeitsarbeit (SPD), Arbeit in bundesweiten Netzwerken und wichtigen Initialiven (Linke), Ansprechpartner in allen Phasen (Grüne) und Motivations-Multiplikatoren (Piraten)
  • Schlagworte, wie "Alpha-Stiftung" (FDP) und "Alpha-Offensive" (SPD), fallen, werden aber nicht näher erklärt und ein erstes Googlen ergibt auch keine weiteren Infos oder Hintergründe
  • Einig sind sich SPD, Linke, Grüne und Piraten, dass das Kooperationsverbot im Bildungsbereich abgeschafft werden muss. Dieses Verbot verhindert die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Bildung und überlässt den Ländern die Entscheidungshoheit. Problematisch ist das für die dauerhafte Finanzierung von Initiativen und Projekten besonders dann, wenn das Land arm ist und nicht viel Geld investieren kann.
  • Alle Parteien bieten ihr Wahlprogramm in leichter Sprache an.
Damit kommen wir auch zur zweiten Übersicht im Rahmen der Wahlprüfsteine, die der Bundesverband zur Verfügung stellt. Allen Parteien werden acht wichtige Fragen gestellt und um die Beantwortung in leichter Sprache gebeten. Diese Antworten findet man hier übersichtlich zusammengestellt. Gutes Material für den Unterricht oder einen Orientierungskurs - allerdings könnte die verwendete sogenannte leichte Sprache gerne noch etwas leichter formuliert werden! Trotzdem: eine gute Ausgangsbasis für eine Unterrichtseinheit.

Es wäre sehr zu wünschen, dass die Parteien ihre Versprechen auch nach der Wahl einhalten - aber um das zu überprüfen, können die Wahlprüfsteine im nächsten Jahr noch einmal herangezogen werden.


Akteure der Alphabetisierung: Karsten Cornelius

Karsten Cornelius

  • Webentwickler, Designer, Programmierer, Erwachsenenbildner
  • Seit 2003 in der Alpabetisierung an der VHS Oldenburg tätig
  • Aktuell als Entwickler im Projekt abc+ und im Regionalen Grundbildungszentrum (RGZ) Oldenburg tätig
  • Kursleiter für "Rechnen" und "Computer"
  • Betreut die ABC-Selbsthilfegruppe Oldenburg bei Webauftritt u.a.
  • Bloggt auf grundbildung.org

1.) Warum haben Sie sich / hast du dich dazu entschieden, im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung zu arbeiten?

Ich bin Quereinsteiger und 2003 rein zufällig in diesem Bereich gelandet. Dabei hatte ich immer das Glück, in einem wundervollen Team arbeiten zu können. Bei der Arbeit im Alpha- und Daf-Bereich faszinieren mich die Einblicke in völlig andere Lebensgeschichten und Realitäten bis heute - eine echte Horizonterweiterung und Inspirationsquelle. Mittlerweile ist mir die gesellschaftspolitische Bedeutung stärker bewusst geworden und ich möchte gern einen Beitrag leisten.


2.) Welche Tätigkeit hat Ihnen/dir bisher in diesem Bereich am meisten Spaß gemacht?

Am meisten Spaß macht mir die Mathematik und sie den Teilnehmern näher zu bringen. Außerdem entwickle ich sehr gern Lernsoftware, was ich ja momentan ausgiebig tun darf. Auch die Arbeit mit der ABC-Selbsthilfegruppe macht mir viel Spaß und ist mir sehr wichtig. Dort kümmere ich mich um Website, Gestaltung, Druckvorlagen, sowie um Fortbildungen zu PC und Internet.


3.) Wie sehen Sie / siehst du die Zukunft in diesem Bereich, bzw. was ist Ihrer/deiner Meinung nach derzeit das dringlichste Problem?

An den beiden Hauptproblemen - allgemeine Finanzierung der Arbeit und Erreichen der Zielgruppe - wird sich meiner Einschätzung nach kurzfristig nichts ändern, auch deshalb, weil sie sich teilweise gegenseitig bedingen. Es wird auch weiterhin Beharrlichkeit beim Bohren dicker Bretter gefragt sein. Bei der konkreten Arbeit in den Kursen wird "Web Literacy" als vierte Grundbildungskompetenz sicherlich an Bedeutung gewinnen. Das bedeutet, dass entsprechende Angebote geschaffen werden müssen.


4.) Was möchten Sie / möchtest du dem beruflichen Nachwuchs mit auf den Weg geben?

Sich einlassen auf die Leute, möglichst auf Augenhöhe, es lohnt sich in mehrfacher Hinsicht. Außerdem stets an die Balance denken: Einerseits immer auch selber lernen und sich für neue Entwicklungen interessieren: »Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!«
Andererseits den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren: »Weniger ist oft mehr!«


5.) Was ist Ihr / dein Lieblingswort?

Oh, das ist schwer, da könnte ich lange drüber sinnieren. Ich habe ein Faible für altmodische oder mundartliche Schimpfwörter, wie z.B. "Dösbaddel", weil die meist nicht so aggressiv, sondern beinahe liebevoll klingen.

Authentische Texte im Alpha-Unterricht

In meinem Alpha-Integrationskurs (6.Modul) setzen wir das Lehrwerk "Erste Schritte - Vorkurs" ein und haben im 6. Kapitel gerade die Strukturen "ich mache gern" geübt. "Ich fahre gern Fahrrad." oder "Ich koche nicht gerne." usw. Dazu ist mir dann in der letzten Woche ein wunderbarer Text in die Hände gefallen, in dem gerade diese Struktur häufig vorkommt und der eine gute, authentische Ergänzung zu unserem Lehrwerkalltag darstellt.

In dem Buch "Ich bin keine Schreibmaschine" werden Texte von deutsch sprechenden funktionalen An-Analphabeten zusammen mit Fotografien der Betroffenen abgedruckt. Sie wurden vom AOB herausgegeben. Ich habe meinen Kursteilnehmern also erzählt, dass es auch viele deutsche Muttersprachler gibt, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben (eine Info, die man ja sowieso und immerzu in der Öffentlichkeit verbreiten sollte, da sie so wenig im Bewusstsein der Menschen ist).

Den Text, den ich gewählt habe, ist der von Thomas (S.30/31). Er ist recht klein gedruckt, aber ich habe ihn mit Absicht nicht vergrößert kopiert, um eben auch das Lesen der kleineren Schriftart zu beüben. Die TN hatten damit kaum Probleme. Gut zu wissen!
Der Text ist von einem Lerner in einer einfachen Sprache verfasst, und besteht überwiegend aus Hauptsätzen und sich wiederholenden Strukturen. Die Struktur "Ich ... gerne..." kommt 8-mal vor.

Ich habe den Text zunächst in Stillarbeit lesen lassen. Da kann sich jeder in seinem Tempo ohne Druck mit dem Text auseinandersetzen. Ich habe die Teilnehmer gebeten, Wörter, deren Bedeutung sie nicht kennen, an die Tafel zu schreiben. Es gab schon recht neuen und unbekannten Wortschatz und lange Wörter, wie "Ventilator", "Schlachtensee" (für Nicht-Berliner: das ist der Name eines Sees bei uns), "Wohngemeinschaft", usw. Danach habe ich ein Arbeitsblatt ausgeteilt, auf dem nur die Bilder abgedruckt waren: Cliparts von einem Ventilator und einem See, usw. "Wohngemeinschaft" schien etwas schwierig visuell darstellbar, aber ich habe ein Bild von einer Wohnung und ein Bild von mehreren Menschen (deutlich keine Familie) zusammengetan. Die Teilnehmer mussten nun Wörter und Bilder zuordnen und greifen dabei auf Strategien zurück: "Ventilator" heißt z.B. in Portugisisch ähnlich, der See passt zu dem Wort "Schlachtensee", die abgebildete Wohnung macht zusammen mit dem Wort "Wohngemeinschaft" Sinn. Zusammen klären wir abschließend die Wörter.

Danach gab es ein Arbeitsblatt mit Fragen zum Text. Jetzt, wo alle Wörter klar sind, gehen die Teilnehmer noch einmal in Einzel- oder Partnerarbeit den Text durch und beantworten die Fragen. Wir kontrollieren die Fragen zusammen und lesen den Text Satz für Satz - wobei ich, wenn das notwendig sein sollte, die Sätze paraphrasiere und erkläre.

Dann legen alleTeilnehmer die Texte weg und sie versuchen, sich gemeinsam an so viele Details wie möglich zu erinnern. Diese Details werden an der Tafel als Wortigel festgehalten. Wenn niemandem mehr etwas einfällt, dürfen wir zurück in den Text schauen: Haben wir etwas vergessen? Was?
Ich bitte die Teilnehmer dann, alle Verben im Text anzustreichen. Das klappte interessanterweise jetzt auch bei denen gut, die mit grammatischen Phänomenen sonst oft Schwierigkeiten haben. Sicherlich lag das daran, dass die meisten Sätze einfach gehalten und als Hauptsätze mit Verbzweitstellung geschrieben wurden. Wir markieren dann auch das Wort "gerne" und zeigen noch einmal, dass es in den allermeisten Fällen nach dem Verb steht.

Man kann die Unterrichtseinheit dann mit spannenden Diskussionen beenden: Wo geht es den Teilnehmern ähnlich wie Thomas, wo geht es ihnen anders? Vielleicht schreiben sie auch 4-5 Sätze über sich - was sie gerne machen, was ihre Familie macht, welches Verhältnis sie zu ihnen haben.

Fazit: Texte von Lernern sind eine wahre Fundgrube zur Unterrichtsgestaltung. Sie sind authentisch und einfach genug, damit Anfängerkurse sie verstehen können. Einen richtigen langen Text in kleiner Schrift lesen und verstehen zu können, war für meine Teilnehmer ein großer Motivationsschub. Es gibt unzählige Möglichkeiten, diese Texte aufzubereiten und kleine Aufgaben zu gestalten.

Texte von Lernern finden Kursleiter und andere Interessierte auch in der ABC-Zeitung der Oldenburger Selbsthilfegruppe oder die Lerner-Zeitung des Vereins Lesen und Schreiben e.V.