Akteure der Alphabetisierung: Marion Karakelle



Marion Karakelle 


ist Lernerin bei Lesen und Schreiben e.V.

1) Warum hast du dich dazu entschieden, lesen und schreiben zu üben?
Wegen meinen Kindern und meinem Berufswunsch.

2) Was ist besonders gut daran, lesen und schreiben zu können?
Das man sich in der Welt zurechtfinden kann.

3) In der Gesellschaft muss man für die Alphabetisierung noch viel verbessern. Was ist deiner Meinung nach im Moment  das wichtigste Problem?
Die Bewilligung vom Jobcenter für den Kurs bei Lesen und Schreiben e.V. ist schwer zu bekommen. Ein anderes Problem ist, dass man uns nicht akzeptiert.

4) Was möchtest du neuen Lehrern und Lehrerinnen sagen?
…mehr Verständnis für die Schüler und genauer hingucken….

5) Was ist dein Lieblingswort?
„Zeit“

Akteure der Alphabetisierung: Ulrike Busse



Ulrike Busse

ist Dipl.-Kommunikationswirtin und arbeitet seit Dezember 2011 bei Lesen & Schreiben e.V. in Berlin-Neukölln. Sie unterrichtet funktionale An-Alphabeten in den Fächern Deutsch und Sozialkunde und arbeitet in einer Arbeitsgruppe im Alphabündnis Neukölln mit.

1.) Warum haben Sie sich / hast du dich dazu entschieden, im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung zu arbeiten?

Bis vor einigen Jahren wusste ich zugegebener Maßen gar nichts davon, dass es  in Deutschland möglich ist, dass Erwachsene lesen und schreiben in ihrer Muttersprache lernen können, geschweige denn, dass das nötig ist. Dann habe ich aber einen Bericht im Fernsehen gesehen, der mich schockiert hat. Danach wollte ich sofort mehr wissen. Und zum Glück habe ich dann Lesen und Schreiben e.V. im Internet gefunden, wo ich heute unterrichten darf.
Ich finde es persönlich wichtig und richtig, sich in diesem Bereich zu engagieren, denn er bekommt gesellschaftlich und politisch viel zu wenig Beachtung!

2.) Welche Tätigkeit hat Ihnen/dir bisher in diesem Bereich am meisten Spaß gemacht?
Der Unterricht mit den Lernern! In dem Bereich zu arbeiten macht mir viel Freude, weil ich andere auf ihrem Weg begleiten und unterstützen kann, ich kann ein offenes Ohr für sie haben, sie begeistern und ermutigen und mich mit ihnen freuen, wenn es Erfolge gibt. Das ist doch super!

3.) Wie sehen Sie / siehst du die Zukunft in diesem Bereich, bzw. was ist Ihrer/deiner Meinung nach derzeit das dringlichste Problem?
Ich möchte die Zukunft unbedingt positiv sehen! Aber das wird ein mühsamer Weg, der Geduld bei allen Beteiligten erfordert, die ich schon mal nicht habe (:-/). Aber ich übe mich darin.
Ein Problem sehe ich in der Gesellschaft, die ganz stark von der Arbeitswelt geprägt ist. Menschen definieren sich über ihren Beruf/ ihrem Job und dem, was sie materiell vorweisen können. Es gibt kaum Platz für Schwächen. Es kostet anscheinend zu viel Mühe, Menschen in ihren vorhandenen Kompetenzen abzuholen, damit sie einen Arbeitsplatz bekommen können. Es ist einfacher für alle Bereiche 120% zu fordern und nicht zu suchen, wer trotz Schwächen individuell zu einer Stelle passen könnte. Wer nicht ins Schema passt, fällt unten durch.
Ein anderes Problem ist,  dass politisch oft zu kurzfristig und nicht nachhaltig gedacht wird. Und: dass Politik zu langsam und nicht mutig genug ist, um wirklich was von Grund auf zu ändern bzw. etwas zu initiieren. Wir brauchen ganzheitliche Förderung mit Weitblick, Zusammenarbeit der einzelnen Ministerien, Grundbildung für alle! als Sache des Bundes und Verständnis für die aktuell schlechte Situation der Betroffenen verbunden mit der Erkenntnis, dass das so nicht weitergehen kann, wenn wir uns gleichzeitig Sozialstaat nennen.

4.) Was möchten Sie / möchtest du dem beruflichen Nachwuchs mit auf den Weg geben?
Das ist ein Tätigkeitsbereich, in dem man viel Gutes geben kann und in dem man sehr viel Positives zurückbekommt.

5.) Was ist Ihr / dein Lieblingswort?
„Chance“


Der Weltalphabetisierungstag 2013


Quelle: unesco.org
Wie auch im letzten Jahr hier eine kurze Auswahl der Aktionen und Medienberichte rund um den Weltalphabetisierungstag am 8.9.2013:




lokale Aktionen
Medienberichte

Der erste Alpha-Aufkleber in Neukölln!

In Berlin-Neukölln klebt seit Mittwoch der erste Alpha-Aufkleber - ein Gütesiegel für das Engagement gegen funktionalen An-Alphabetismus. Aufkleber? Gütesiegel? Wer Genaueres wissen will, dem sei hier mein Text zur feierlichen und medienwirksamen Verleihung des ersten Alpha-Aufklebers ans Herz gelegt:



Anfangen möchte ich mit einer entscheidenden Besonderheit von funktionalem An-Alphabetismus: die UNSICHTBARKEIT der Betroffenen. Die Öffentlichkeit weiß nämlich noch viel zu wenig, dass es Menschen mit Lese- und Schreibproblemen gibt; dass es z.B. kein Migrationsproblem ist und dass es nicht nur eine Randgruppe betrifft. Und Betroffenen sieht man es natürlich auch nicht an, und sie verstecken sich häufig und leben in großer Angst und großem Stress. Zum Teil wissen sie gar nicht, dass sie nicht die Einzigen sind, und dass es Hilfe gibtSie stecken dann ihre Energie in das Verstecken, nicht in das Lernen – und das ist für niemanden gut: nicht für die Betroffenen selbst und nicht für unsere Gesellschaft allgemein.

Gegen diese Unsichtbarkeit steht der ALPHA-AUFKLEBER als ein Zeichen. Und ich möchte Ihnen jetzt schnell beschreiben, wieso und wie er das tut. Dafür sind 4 Stichwörter wichtig: Aufmerksamkeit, Auftrag, Aufbauen und Aufteilen.

Anfangen möchte ich mit AUFMERKSAMKEIT. Geschulte und kompetente Einrichtungen bekommen den Aufkleber und können ihn an ihrer Eingangstür anbringen. Unser Aufkleber erzeugt so Aufmerksamkeit im Neuköllner Stadtbild.
  • Einrichtungen können mit ihrer Kompetenz werben und nach außen zeigen, dass sie sich für das Thema stark machen.
  • Betroffene sehen den Aufkleber und haben weniger Angst und Stress, die Einrichtung zu betreten und das Angebot in Anspruch zu nehmen.
  • Die Öffentlichkeit sieht den Aufkleber und fragt sich vielleicht, wofür er steht, kommt mit anderen darüber ins Gespräch,...
Wir brauchen viele kleine Anlässe für Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Der Aufkleber sorgt dafür.

Um den Aufkleber an die Einrichtung zu verleihen, müssen wir aber sicher sein können, dass dort wirklich kompetent mit der Zielgruppe umgegangen wird. Dass der Aufkleber als Gütesiegel auch hält, was er verspricht. Das habe ich unter dem Stichwort AUFTRAG zusammengefasst. Die Einrichtungen bekommen den Auftrag, bestimmte Kriterien, bestimmte Anforderungen zu erfüllen, bevor sie den Aufkleber bekommen.
  • sie nehmen an einer 6-stündigen Schulung zum Thema teil
  • an der Schulung nehmen mindestens 2 Mitarbeiter teil – das ist wichtig, denn wenn ein Mitarbeiter aus welchem Grund auch immer die Einrichtung verlässt, dann kann Kompetenz und die Verantwortung nicht verloren gehen
  • Die Mitarbeiter übernehmen Verantwortung, eine Botschafterrolle; die auch durch die Leitung unterstützt wird
  • Und dann ist es auch notwendig, einen AKTIONSPLAN zu erstellen. Das bedeutet, dass in der Schulung alle Arbeitsschritte in der Einrichtung auf Hürden für Menschen mit Lese- und Schreibproblemen abgeklopft werden. Wir erarbeiten dann in der Schulung und mit den Betroffenen zusammen Verbesserungen, die dann von der Einrichtung auch umgesetzt werden müssen.

Wir bauen hier heute das deutschlandweit erste Gütesiegel zum Engagement gegen funktionalen An-Alphabetismus auf. Damit kommen wir zum Stichwort AUFBAUEN. Uns hat dabei sehr gefreut, dass die Aktion von Anfang an auf großes Interesse gestoßen ist. Es haben bereits 22 Einrichtungen fest zu einer Schulung zugesagt, oder schon teilgenommen haben:
Und im Laufe dieses Jahres werden noch andere Einrichtungen dazu kommen. Wir freuen uns darauf, diese vielen Aufkleber in Neukölln zu sehen.

Aber es geht nicht nur um Aufbauen, es geht auch um Ausbauen. Wie Sie gemerkt haben, schulen wir in diesem Jahr die sozialen Vereine, und das ist eine ganz wichtige erste Basis. Aber wir müssen unbedingt in die Bereiche Gesundheit, Kita und Schule, in die kommunalen Behörden oder auch in die Betriebe und Unternehmen.
Darüber hinaus möchten wir dieses Neuköllner Modellprojekt gerne berlinweit ausbauen.
Stellen Sie sich einmal vor, dass Betroffene in ganz  Berlin einen Arzt mit Alpha-Aufkleber aussuchen können, weil sie wissen, dass sie dort angemessen behandelt werden und keine Angst vor dem Patientenbogen schon in der Anmeldung haben müssen. Dass sie vielleicht auch in ihrem Bürgerbüro oder ihrer Kita vorsichtig darauf angesprochen werden, dass sie eventuell Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben und dann gleich an ein passendes Angebot weitergeleitet werden können. So kann Sichtbarkeit entstehen. So können Folgekosten eingespart werden und für jeden ein passendes Weiterbildungsangebot gefunden werden. So kann für eine große Bevölkerungsgruppe erstmals Teilhabe an der Gesellschaft entstehen.

Und schließlich und ganz wichtig: in unserer Arbeit wurden wir unterstützt – jetzt kommt das Stichwort AUFTEILEN ins Spiel. Einmal von unseren Bündnispartnern, die unser Angebot verbreitet haben und die z.B. mit uns in den AGs die Kriterien diskutiert haben. Ganz besonders wichtig war aber auch die Hilfe von den Lernern und Lernerinnen von Lesen und Schreiben e.V. Sie sind unsere Experten, weil sich natürlich niemand besser mit dem Thema auskennt als die, die selber beteiligt sind. Sie haben bei den Kriterien mitgearbeitet und Ihre Meinung gesagt, was ihnen als Bedingungen für den Alpha-Aufkleber wichtig ist. Sie sind bei den Schulungen dabei und berichten von Ihren Erfahrungen und können Fragen beantworten und Hinweise geben. Sie haben Zitate für Pressemitteilungen geliefert. Und, das ist ganz, ganz wichtig: sie haben den Aufkleber mit uns zusammen gestaltet.

Mit diesem Projekt setzen wir Forderungen von Lernenden, Empfehlungen von Forschern, Erfahrungen von Praktikern und letzendlich Teile der Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, hier ganz lokal und ganz konkret um.

Mit dem Aufkleber wird Aufmerksamkeit erzeugt, und gleichzeitig Erleichterung für Betroffene und eine bessere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit geboten.
Mit dem Aufkleber wird der AUFTRAG an die Einrichtungen gegeben, ihr Angebot auch für Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten erreichbar zu machen und sie werden in die Situation versetzt, Betroffene zu erkennen, anzusprechen und in einen Kurs weiterzuleiten.
Mit dem Aufkleber ist ein erster Schritt getan – der als Modellprojekt AUFBAU- und ausbaufähig wäre.
Mit dem Aufkleber wird Teilhabe und die erfolgreiche Zusammenarbeit eines Netzwerks symbolisiert, in dem sich alle zusammen die Arbeit AUFTEILEN und gemeinsam an der Aktion arbeiten.


PS: Der Aufkleber ist vom Alpha-Bündnis Neukölln initiiert und vom Projektträger Lesen und Schreiben e.V. Berlin getragen.

Foto: Urda