Alphabetisierung wird politisch immer noch zu wenig ernst genommen. Deswegen ist es erfreulich zu sehen, dass sich der Bundestags-Ausschuss zu einem Fachgespräch zum Thema mit führenden Experten getroffen hat.
Die Weltalphabetisierungsdekade 2003-2012 hatte ursprünglich das Ziel vorgegeben, die Zahl der Analphabeten zu halbieren. Dies ist nicht geschehen, und Handlungsbedarf besteht noch immer. Bund und Länder hatten sich daher Ende letzten Jahres auf eine nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung geeinigt. Diese nationale Strategie war ein Kernthema des Gespräches. Matthias Anbuhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund Bundesvorstand zum Beispiel, sieht die Strategie als ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wandte aber ein, dass vor allem die Länder größere Initiative zeigen müssen. Ziel der Strategie sollte, laut Ulrich Aengenvoort vom Deutschen Volkshochschul-Verband in erster Linie sein, die volle berufliche, gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe zu garantieren, und nicht nur ein Mindestmaß von Lese- und Schreibkenntnissen zu gewährleisten. Interessant: die Volkshochschulen unterrichten rund 20000 Menschen - eine große Diskrepanz zu einer geschätzten Zahl von 20 Millionen Menschen mit Grundbildungsproblemen.
Notwendig dafür sind neue Kursleiter, ein gemeinsames Curriculum und eine größere Menge von Alphabetisierungseinrichtungen. Peter Hubertus, Geschäftsführer des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung, verlangt von den Ländern, bundesweit 100000 Kursplätze einzurichten. Ein Vorbild für die Maßnahmen könnte die britische "Skills for Life" Strategie sei, so Matthias Anbuhl, die mit massiver Institution eine ebenso massive Verbesserung der Lage erreichen konnte (viele Länder führen schon eine längere Zeit eine nationale Strategie durch). Notwendig ist, viele der Sprecher sind sich dabei einig, eine Medienkampagne, die auf das Problem des Analphabetismus aufmerksam macht und zum Besuch der Kurse und Angebote anregt.
Noch eine Anmerkung: ich fand es erstaunlich, dass beim Einstufungstest des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nur die Level A1 bis B1 abgetestet werden, der Bereich unter A1, also der Bereich des Analpabetismus, dagegen nicht. Das zeigt erneut, dass das Problem über eine lange Zeit völlig ignoriert wurde.
Das trifft ganz verstärkt auch auf die Wirtschaft zu. Erst im letzten Jahr hat der Deutscher Industrie- und Handelskammertag, so Günter Lambertz, auf das Analphabetismus unter den Erwerbstätigen aufmerksam gemacht. Dies traf auf Unverständnis bei den Unternehmen: "So etwas gibt es bei uns nicht!" Die Zahlen der leo - level-one Studie, sagen etwas Anderes...
Das also nur ein paar Punkte, die ich persönlich bemerkenswert fand.
Eine nationale Strategie ist also gefordert. Ich bin gespannt...
Man kann sich eine Aufzeichnung des gesamten Gespräches online anschauen.