Lerner nehmen die Auszeichnung als Botschafter für Alphabetisierung entgegen |
(Inzwischen ist das für mich gar kein Widerspruch mehr, im Gegenteil, aber darum soll es bei dem Artikel heute nicht gehen.)
Mich hat es also beeindruckt, wie der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung oder die VHS in Oldenburg, der Verein Lesen und Schreiben e.V. und viele andere, Lernende gezielt in ihre Arbeit einbeziehen. Für mich machte das am Anfang ganz aus meinem eigenen sozialen Verständnis heraus Sinn: Ich fand es richtig, dass diejenigen, über die geredet wird, auch mitreden können. Das heißt: Wenn auf einer Tagung ein Expertenaustausch zu z.B. Angeboten für funktionale An-Alphabeten stattfindet, dann müssen die Betroffenen auch die Möglichkeit haben - als die Zielgruppe, als Experten - etwas beitragen zu können. Das fand und finde ich richtig, gerecht, wertschätzend, notwendig. Und noch dazu bietet es den Lernenden eine Gelegenheit, z.B. Motivation zu schöpfen oder ihr Leben als funktionale An-Alphabeten auf einer Metaebene zu reflektieren (Entschuldigung für die Fremdwörter, aber hier trifft's einfach am besten...) - alles ganz wichtige Kompetenzen und eine Bereicherung fürs Leben.
Nachdem ich in diesem Jahr in meiner eigenen Arbeit an der Aktion Alpha-Kompetenz eng mit Lernern zusammengearbeitet habe, hat sich die frühere Sichtweise für mich noch einmal ganz entscheidend erweitert: Während ich früher vor allem die soziale Notwendigkeit und die Vorteile für die Lerner gesehen habe, sehe ich jetzt auch ganz deutlich die - sagen wir mal: wirtschaftliche Notwendigkeit und die Vorteile für die Projektleitung, die Chefs, die Vortragenden - und schließlich, klar, die Gesellschaft an sich.
Warum?
(1.) Nur, indem man die Betroffenen nach Ihrer Meinung fragt, kann man sicherstellen, dass Maßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit, und eigentlich alles was man (unter meist hohen Investitionen) für die Zielgruppe entwickelt, von der Zielgruppe überhaupt angenommen wird. Bei einer Produktentwicklung werden auch Kundenbefragungen und Marktanalysen und wasweißich gemacht, um sicherzustellen, dass das Produkt auch genau auf die Bedürfnisse der Kunden passt. So muss man doch auch vorgehen, wenn es darum geht, Kurse, Flyer, oder andere Produkte der Öffentlichkeitsarbeit wirkungsvoll an die Zielgruppe zu bringen. Was nützt - um auf meine eigenen Erfahrungen zurückzukommen - ein Alpha-Aufkleber an den Türen von alpha-kompetenten Einrichtungen, wenn er von Betroffenen nicht verstanden oder angenommen wird? Der Aufkleber muss also von den Lerner-Experten mitentwickelt werden.
Investitionen in Öffentlichkeitsarbeit sind notwendig - und dann sollte man auch durch die Zusammenarbeit mit Lernern den maximalen Nutzen erreichen.
(2.) Lerner können ganz echt und authentisch von dem Leben mit Lese- und Schreibschwierigkeiten erzählen. Alle anderen können das nicht. Das ist einfach so. So richtig verstanden habe ich das erst seit ich selbst im Team mit zwei Lernern Multiplikatorenschulungen gebe. Da kann ich viel über mögliche Ursachen von Lese- und Schreibschwäche referieren - sobald Lerner aus ihrem eigenen Leben berichten, hören die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ganz anders zu. Ich habe den Eindruck, dass sie dann mehr verstehen und es weniger schnell vergessen. Und es steigert die Qualität der Schulung erheblich. In jedem Evaluationsbogen, den ich bisher erhalten habe, wurde die Beteiligung der Lerner als wichtig hervorgehoben.
Lerner sind die Experten und die besten Fürsprecher für ihre Sache. Wir müssen sie einbeziehen und es sollte allen bewusst sein, dass nicht nur die Lerner selbst davon profitieren können. Dafür gibt es soziale Gründe und wirtschaftliche Gründe, und schließlich macht es auch einfach mehr Spaß miteinander zu lernen. Mir zumindest ist es so wichtig, dass ich meinen Blog danach benannt habe.
mehr Informationen:
"Lernende als Experten ernst nehmen"Landkarte: Lerner-Experten in der Alphabetisierung und Grundbildung
Alfa-Forum 80(2012): Mit den Lernenden zum Erfolg!
ABC Selbsthilfegruppe Oldenburg
"Lerner diskutieren Perspektiven"