Tagungsbericht: "Situation, Motivation, Angebote - 10. Fachtagung Alphabetisierung" - dritter Tag

Der
21.09.2012
war der letzte Tag der zehnten Fachtagung Alphabetisierung, und der Endspurt konnte beginnen.


Rudolf Hahn stellte in seinem Input-Vortrag "Grundbildung zur ChefInnnensache machen! Das Trierer Top-Down Modell" das Trierer Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung vor.  Das vor anderthalb Jahren mit 56 Bündnispartnern gegründete Netzwerk hat inzwischen über 70 Partner aus allen Bereichen: Jobcenter und Krankenkasse, Kammern und Gewerkschaften, Sparkassen, Caritas, Wohlfahrtsverbände und, nicht zuletzt, Bildungseinrichtungen.

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Quelle: ichance.tv
Timm Helten und Jan-Peter Kalisch gaben anschließend Tipps zum Einsatz von sozialen Netzwerken "auf der Suche nach der Zielgruppe". Sie zeigten Möglichkeiten, aber auch Gefahren von Facebook et al. und beendeten den Vortrag mit der Live-Vorführung ihres Facebook-Spiels "Das Dennis-Spiel", einer Art Galgenraten im Stil der Pseudo-Gewinnspiele auf einschlägigen TV-Kanälen wie 9Live.

Quelle: Enrico
Nach einer Kaffeepause berichtete Elfriede Haller zusammen mit Horst Uhrig von den "Erfahrungen, Schwierigkeiten und Erfolgen seit Beginn der Lerner-Bewegung". Neben Anekdoten fielen auch ernsthafte und mahnende Worte. Dies fand dann seinen Höhepunkt in der gemeinsamen Versammlung der meisten anwesenden Lerner/innen auf der Bühne. Es gab Dankesworte an Organisatoren/innen und Lehrer/innen aber durchaus auch kritische Stimmen: Warum werden die Lerner/innen immernoch zu selten in Marketingstrategien und Organisationsbelange eingebunden? Lernende sind nicht nur "die besten Botschafter", wie es im Tagungsprogramm hieß, sie sind auch die wahren Experten. Niemand weiß so gut wie sie, wie eine Ansprache glücken kann, was verstanden, akzeptiert und angenommen wird. Niemand kann eine solche echte Aufmerksamkeit und Gänsehautatmosphäre generieren. Niemandem werden potentielle, neue Lerner stärker vertrauen und sie nachahmen wollen. Die aktiven Lerner auf der Bühne wünschen sich daher eine noch stärkere Einbeziehung in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeitsarbeit, und ich wünsche sie mir auch.



Sowohl unsere Lerner/innen als auch Mitarbeiterinnen fuhren mit vielen neuen Eindrücken und Ideen nach Hause. Im Gepäck haben wir neben den reinen Informationen und neuen Kontakten auch ein Stück Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Stück Motivation, das uns allen durch den nicht immer leichten Arbeitsalltag helfen wird. Und damit ist sicher schon ein ganz wichtiges Tagungsziel erreicht!

Blogentry zum ersten Tag
Blogentry zum zweiten Tag der Fachtagung

Tagungsbericht: "Situation, Motivation, Angebote - 10. Fachtagung Alphabetisierung" - zweiter Tag

Der
20.09.2012
war der zweite Tag der Fachtagung Alphabetisierung "Situation, Motivation, Angebote" und begann mit einer Talkrunde mit der Selbsthilfegruppe Oldenburg, vertreten durch Brigitte van der Felde und Ernst Lorenzen. Die Selbsthilfegruppe wird unterstützt von ihrem Lehrer, Achim Scholz, der schon lange an der VHS Oldenburg Alphabetisierungsarbeit macht.
Quelle: Enrico
Sie berichteten von der Gründung der Selbsthilfegruppe und ihrer Arbeit. So laden sie z.B. regelmäßig Mitarbeiter des Jobcenters ein, denen sie und andere Lerner über ihre Fortschritte und Erfolgsgeschichten berichten. Bekannt ist Ernst Lorenzen vor allem als Ernst55, jetzt z.B. auch durch eine 12-seitigen Beilage in der Sueddeutschen (zum Weltalphabetisierungstag am 8.9.2012), in der er von seinen Erfahrungen erzählt. Trotz starker Öffentlichkeitsarbeit sind die Teilnehmerzahlen aber auch an der VHS Oldenburg rückläufig. In diesem Zusammenhang wird auch ein anderes Problem benannt: Wenn Kursleiter wegfallen, brechen oft auch ihre Lerner weg.


Quelle: bmbf.de
Außerdem gab die VHS Oldenburg Einblicke in ihr neues arbeitsplatzbezogenes Projekt "ABC+", das im Rahmen des neuen Förderungsschwerpunkt des BMBF (mein Blogpost dazu) entstand. Das leitete in den nächsten Vortrag über, in dem Mandy Böttger diesen Förderschwerpunkt "Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener" genauer beschrieb. Sie nahm Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung des Förderschwerpunkts bereits vorweg, indem sie betonte, dass über die Arbeitsplätze Zugang zur Zielgruppe gewonnen werden soll. Davon würden dann alle beteiligten (Bildungs-)Einrichtungen profitieren. Investiert werden 20 Mio bis Ende 2015 in über 50 Projekte.

Arbeitsplatzbezogen ging dann auch mein nächster Workshop weiter. Aus den vielen hervorragenden Workshops (hier z.B. Workshopschiene B) einen auszusuchen, war nicht einfach...
Aber da wir als Alpha-Bündnis Neukölln immer wieder vor der Frage stehen, wie wir Unternehmen für unser Netzwerk interessieren können, entschied ich mich für Ellen Abrahams "Unternehmen gewinnen - Grundbildungsangebote im Betrieb verankern". Der Workshop bestätigte mich darin, dass wir prinzipiell nichts falsch machen, sondern dass die erfolgreiche Ansprache von Unternehmen einfach eine schwierige Sache ist. Wenn jemand von Ihnen positive Erfahrungen gemacht oder Ideen zu dem Thema hat, lade ich Sie herzlich ein, diese hier in einem Kommentar zu schilden. Eindrucksvoll waren für mich besonders die Zahlen: Fluktuationskosten pro Mitarbeiter belaufen sich auf 7000EUR und der Ausfall eines Mitarbeiters für einen Tag lässt Wertschöpfungsverluste von 455EUR entstehen. Diese Punkte werde ich auf jeden Fall in meine Argumentation aufnehmen können!

Achim Scholz, der bereits zum ersten Talkrunde am Morgen auftrat, leitete den letzten Workshop, an dem ich im Rahmen der Fachtagung teilgenommen habe. Er berichtete über Finanzierung, Aufbau und Durchführung einer einjährigen Maßnahme an der VHS Oldenburg zu arbeitsplatzbezogener Grundbildung. In 30 Stunden pro Woche werden arbeitsplatzrelevante Grundqualifikationen in Lesen, Schreiben, Rechnen und EDV-Kenntnissen vermittelt. Interessant war hier besonders die Umsetzung von selbstbestimmten und lernerzentriertem Lernen: Jede Woche wird für jeden Lerner ein individueller Lehrplan erstellt, der im Laufe der Woche im eigenen Tempo abgearbeitet wird. Das Projekt ist auch in einem Artikel des Alfa-Forums beschrieben.

Nach so viel Input und Diskussionen kam der anschließende Info-Markt gerade recht. Man konnte mit Kaffee und Keksen ausgestattet zu den vielen Ständen der Organisationen, Verlage, Selbsthilfegruppen und Enrichtungen schlendern. So ergaben sich viele individuelle Gespräche und Kontakte.

Quelle: Enrico
Weitere Gelegenheiten dafür bietete auch der anschließende Tagesausklang mit Essen, Konzert und DJ. Danke, DJ Mans, für die unermüdliche Unterhaltung!





Blogentry vom ersten Tag
Blogentry vom letzten Tag

Tagungsbericht: "Situation, Motivation, Angebote - 10. Fachtagung Alphabetisierung" - erster Tag

Quelle: www.alphabetisierung.de
"32 Workshops, 7 Input-Vorträge, 3 Talkformate, ein Infostand", so beschreibt der Bundesverband für Alphabetisierung und Grundbildung die zehnte Fachtagung Alphabetisierung in der Tagungsmappe. Rückblickend (stattgefunden hat sie vom 19.-21.09.) möchte man noch ein paar Zahlen ergänzen: 3 spannende Tage, ca. 240 Teilnehmer/innen, 2 Moderatoren/innen, so viele Lerner/innen wie noch nie zuvor (da fehlt mir leider eine genaue Zahl), ... und unzählige neue Informationen, Kontakte und Eindrücke.

Der
19.09.2012
begann mit Grußworten von Bart van der Meer, Erstem Stadtrat von Bad Wildungen, und Birgid Oertel vom Hessischen Kultusministerium.  

Peter Hubertus, der Geschäftsführer des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung, brachte die - auch hier im Blog - schon öfter angesprochene Terminologiefrage auf den Tisch: Wie sprechen wir von unserer Zielgruppe? Wie auch Frau Prof. Grotlüschen schon auf der LISUM-Tagung (mein Blogentry) feststellte, sollte der Begriff des "funktionalen Analphabetismus" Wissenschaft, Politik, Medien und Öffentlichkeit vorbehalten sein. Es müsste uns jedoch immer bewusst sein, dass sich die wichtigen Gruppen der Betroffenen, Vertrauenspersonen und auch Unternehmen davon nicht angesprochen fühlen. Dadurch ergibt sich ein Dilemma, das in jeder Veröffentlichung und in jeder Ansprache neu gelöst werden muss.

Marion Döbert gab anschließend einen Überblick zur "Situation von Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland im Spiegel der UN-Weltalphabetisierungedekade". Sie holte dabei weiter aus, denn eine vollständige Beschreibung der Dekade bedeutet auch einen Vergleich mit der Situation VOR der Dekade. Für jemanden wie mich, die noch nicht 30 Jahre Erfahrung in der Alphabetisierungsarbeit hat, war das eine wunderbar komprimierte Darstellung aller Meilensteine seit den 80er Jahren. Es zeigte aber auch deutlich, wie wenig in dem Bereich tatsächlich erreicht werden konnten, und wie weit wir noch selbst von akzeptablen Teilergebnissen entfernt sind. Zu dem gleichen Fazit führte auch Frau Döberts Gegenüberstellung von den "Bernburger Thesen zur Alphabetisierung" und den konkreten Ergebnissen am Ende der Dekade.
Sie war am Ende sehr unter Zeitdruck den Vortrag auch in der gegebenen Zeit zu beenden, aber, Frau Döbert, Ihrem informativen und unterhaltsamen Input hätten wir noch ewig zuhören können!

Prof. Anke Grotlüschen begann ihren Vortrag mit der Aussage, endlich einmal nicht die "Essentials" der leo-Studie vorstellen zu müssen. Stattdessen kam sie auf die neuen Ergebnisse internationaler Studien zu sprechen. Darunter besonders interessant: die "skills for life"-Studie aus Großbritannien wurde nun zum zweiten Mal durchgeführt, und so können die Ergebnisse der Alphabetisierungsarbeit seit 2003 ausgewertet werden. Es zeigte sich, dass trotz Investitionen keine signifikante Senkung der Zahlen erreicht werden konnte - was Frau Grotlüschen mit der falschen Investition der finanziellen Mittel erklärte. Weiterhin besprach sie die auseinandergehenden Ergebnisse von Alpha-Panel (einer Studie, die nur VHS-Kursteilnehmer befragte) und der leo-Studie und schließlich die leo-Studie mit Fokus auf dem Thema Beruf und Arbeit.

Quelle: Enrico
Vertreter/innen von Selbsthilfegruppen stellten ihr Lerner-Manifest mit einem kleinen Imagefilm vor. Das Manifest wurde im Austausch mit anderen Lernern aus Belgien, Deutschland, Irland, Frankreich, den Niederlanden und Spanien erstellt und kann hier nachgelesen werden.

Quelle: bildungsklick.de
Dagmar Ludzay stellte im Anschluss die neue Werbekampagne des BMBF "Lesen und Schreiben - mein Schlüssel zur Welt" vor, die zeitgleich in Berlin offiziell von Ministerin Annette Schawan eröffnet wurde. Die drei kurzen Werbespots (TV: 35s, Kino: 45s), in denen Erfolgsgeschichten präsentiert werden, wurden dem Publikum gezeigt und wurde in der anschließenden Diskussion kontrovers diskutiert.

Nach einer Kaffeepause begann dann der erste Workshop. Ich hatte mich für Peter Hubertus' "Zentrale Fragen von Unterricht, Kursangeboten und Perspektiven der Alphabetisierung" entschieden. Basierend auf den Fragen der Workshopteilnehmer ergaben sich u.a. folgende thematische Schwerpunkte:
  • Wie können Kursangebote im ländlichen Raum verankert werden? (hier wurde die überdurchschnittliche Bedeutung von Anonymität betont und Verbundplakate vorgeschlagen)
  • Wie geht man mit der Heterogenität der Lerngruppe um? (Heterogenität ist selbst bei gleichem Ausgangsstand nicht vermeidbar, da jede/r in seinem/ihrem ganz eigenen Lerntempo lernt; es wurde auch vor dem gemeinsamen Anbieten von Kursen für Migranten und deutschsprachigen Lese- und Schreibschwachen gewarnt: es bestehen ganz andere Bedürfnisse)
 Mit einem leckeren Abendessen, Konzert und DJ konnte der erste Tag der Fachtagung ausklingen.

Blogentry zum zweiten Tag der Fachtagung
Blogentry zum dritten Tag der Fachtagung


Neulich im Base_Camp...

Quelle: eplus-gruppe.de
Nein, es ist keine Verpflegungshütte vor dem nächsten hohen Berg und auch keine militärische Einrichtung, wie man bei den Namen vielleicht denken könnte. Base_Camp sind die E-Plus Base Ausstellungsräume, in der feinsten Mitte Berlins gelegen. Und da die E-Plus Gruppe den Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung schon seit mehreren Jahren unterstützt, fand dort am 6.September eine Talkrunde zum Thema "Ja ich will. Als Erwachsener Lesen und Schreiben lernen" statt. Zwischen Smart Phones und Tablets fand sich eine große Gruppe an Interessierten aus Wirtschaft und Politik, aus Bildungs- und Presseeinrichtungen und (ehemaligen) Betroffenen zusammen.

Die Talkrunde bestand aus Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bildungspolitscher Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion (und auch Vorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbandes), Peter Hubertus, Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung, Jutta Stobbe, Botschafterin für Alphabetisierung und ehemalige Betroffene.

Viele der dringenden Fragen, die auch schon auf der LISUM Tagung (siehe mein Blogentry vom 28.08.) angesprochen wurden, waren auch im Base_Camp Thema:

1.) Wie können Lerner für Alphabetisierungskurse gewonnen werden?
  • Frühere Werbekampagnen u.a. auch für das Alfa-Telefon waren erfolgreich (Telefon ist ein ideales Medium: nicht schriftsprachabhängig und anonym), weitere Kampagnen müssen folgen
  • Vorteile der Beherrschung von Lesen und Schreiben müssen deutlich gemacht werden, um als Motivator wirken zu können (Frau Stobbes Erfahrungen: der eigene Wirkungskreis erweitert sich extrem, sie nimmt jetzt kulturelle Angebote wahr, usw.)
  • In der Gesellschaft muss ein Bewusstseinswandel stattfinden: Eine Lese- und Schreibschwäche sollte nicht nur als Defizit wahrgenommen werden - es bedeutet nämlich auch die Beherrschung von vielen anderen Lebenstechniken, mit denen die Lese- und Schreibschwäche kompensiert wird
  • der Einsatz von prominenten Botschaftern (wie z.B. im Projekt iChance) ist wirkungsvoll
Peter Hubertus sprach einen wichtigen Zusammenhang an: Es muss auch genug Kurse geben, die die durch Werbung gewonnen Personen auch aufnehmen können. Das betraf dann einen zweiten Schwerpunkt:

2.) Wie kann das Kursangebot verbessert werden?
  • Es wurde zunächst festgehalten, dass bereits gute, methodisch vielfältige Kurse bestehen
  • Wichtig sind: 
    • differenzierte Kurse, 
    • flächendeckende Angebote auch in strukturschwachen Gebieten (manche Teilnehmer/innen wünschen sich einen Kurs in ihrer Nähe, andere vielleicht auf Grund der Stigmatisierung einen in größerer Entfernung zum Heimatort), 
    • intensive Angebote (zeitlich stark eingeschränkte VHS-Kurse sind nicht effektiv) 
    • und mehr Angebote (Peter Hubertus wirft eine Zahl in den Raum: 100.000 Kursplätze sollen insgesamt realisiert werden, dass sind 80.000 mehr als bis jetzt bestehen)
3.) Wie kann und muss die Gesellschaft ihren Lese- und Schreibschwachen helfen?
  •  Die Teilnehmer der Talkrunde waren sich einig, dass Lese- und Schreibschwäche die gesamte Gesellschaft angeht; 
    • Peter Hubertus meinte dazu, dass jede Organisation und jede Person sich fragen sollte: 'Was haben wir mit Alphabetisierung zu tun? Wie können wir einen Betrag leisten?
    • auch Ernst Dieter Rossmann betonte "alle müssen mitmachen"
  • Konkret kann das laut Rossmann so aussehen, dass Vertrauenspersonen, wie Ärzte, Betriebsräte, Personalbeauftragte oder Mitarbeiter in Jobcentern das Thema sensibel ansprechen und bei einem Umdenkprozess oder der Vermittlung in Kursangebote helfen
  • Unternehmer müssen in die Verantwortung genommen werden - dazu wurden erfolgreiche Beispiele präsentiert, wie z.B. der Chef eines 5-Sterne-Retaurants, der bewusst Lese- und Schreibschwache einstellt
  • Sowohl Jutta Stobbe als auch Peter Hubertus forderten für die Alphabetisierungsarbeit langfristige, fest institutionalisierte Einrichtungen und nicht nut befristete Projekte mit Honorarverträgen
Mein Fazit:
Die Talkrunde im Base_Camp sollte das Thema Alphabetisierung und Grundbildung am Vor-Vorabend des Weltalphabetisierungstags in das öffentliche Bewusstsein und die Medien holen. Insofern waren umwälzende Erkenntnisse oder grundlegende Veränderungen sicher nicht zu erwarten - und nicht Ziel der Veranstaltung. Die Runde war unterhaltsam und hat aktuelle Probleme angesprochen, der Austausch hinterher kann für die Vernetzung wichtig sein - und damit den Lernern zugute kommen. Am wichtigsten, schönsten und eindrücklichsten wäre es jedoch gewesen, den Lernern und Betroffenen noch mehr Raum zu geben.

Der Weltalphabetisierungstag in der (Web)Öffentlichkeit

Quelle: unesco.org
Heute ist der 8. September - der offizielle UNESCO Weltalphabetisierungstag. Die schon lange bestehenden Schwierigkeiten, mit denen Alphabetisierungsarbeit zu kämpfen hat, sollen an diesem Tag mehr als sonst in das Bewusstsein der Gesellschaft geholt werden. Wo sonst im Netz nur ab und zu mal neue Beiträge zum Thema "Alphabetisierung und Grundbildung" zu finden sind, überschlagen sich gestern und heute die Ereignisse. Damit Sie nicht den Überblick verlieren, habe ich Ihnen Berichte, Events und Sendungen zusammengestellt.

allgemeine Websites

  • offizielle Seite des UNESCO Literacy Day - Literacy and Peace
  • EU-weiter Zusammenschluss von Lernern und Betroffenen - hier auch das Manifest der Lerner mit ihren Forderungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
  • ausführliche Linksammlung zum Thema "Alphabetisierung und Grundbildung" vom Deutschen Bildungsserver

Presseberichte

Was Politiker dazu sagen

Filmchen und Podcasts


Der Tag ist ja noch nicht zu Ende - sicherlich muss die Liste am Abend ergänzt werden...


Nachtrag:
Besuchen Sie die Alpha-Fundsachen für eine weitere Sammlung von Alphabeiträgen!
Die ausführliche Liste von Alphabeiträgen finden Sie hier.


Alpha-Bündnisse - Wozu eigentlich?

Das Trierer ist groß und sehr aktiv. Das Neuköllner ist das Erste und bislang Einzige in Berlin. Und jetzt ist ein Landesweites für ganz Thüringen entstanden. Alpha-Bündnisse gibt es bundesweit, und sie werden als Maßnahmen für die Belange von Lese- und Schreibschwachen immer weiter eingesetzt. Und das ist auch gut so.
Aber warum eigentlich?

Szenario 1: Ein Lese- und Schreibschwacher geht zur Krankenkasse / zum Jobcenter / zur Schuldnerberatung o.Ä. Beim Ausfüllen der Formulare täuscht er vor, seine Brille vergessen zu haben. Widerwillig füllt die Beraterin die Unterlagen selbst aus. Unser Lese- und Schreibschwacher geht mit einem unguten Gefühl nach Hause.

Szenario 2: Eine Lese- und Schreibschwache geht zur Krankenkasse / zum Jobcenter / zur Schuldnerberatung o.Ä. Beim Ausfüllen der Formulare berichtet sie von ihrer Schwäche. Der Berater reagiert mit Unverständnis. Unsere Lese- und Schreibschwache geht mit einem unguten Gefühl nach Hause.

Szenario 3:  Ein Lese- und Schreibschwacher geht zur Krankenkasse / zum Jobcenter / zur Schuldnerberatung o.Ä. Beim Ausfüllen der Formulare berichtet er von seiner Schwäche. Der Berater reagiert mit Verständnis, hilft beim Ausfüllen. Unser Lese- und Schreibschwacher geht nach Hause.

Szenario 4: Eine Lese- und Schreibschwache geht zur Krankenkasse / zum Jobcenter / zur Schuldnerberatung o.Ä. Beim Ausfüllen der Formulare täuscht sie vor, ihre Brille vergessen zu haben. Der Berater registriert, dass dies nun schon zum wiederholten Male passiert und spricht seine Kundin angemessen darauf an. Er hört heraus, dass sie an ihrer Situation gerne etwas verändern möchte und kann sie zu einer passenden Bildungseinrichtung weitervermitteln. Um die Angst vor dem ersten Besuch zu nehmen, kann der Berater den Weg dahin, das Zimmer und den Namen der Ansprechperson genau beschreiben. Unsere Lese- und Schreibschwache geht nicht nach Hause, sondern macht sich auf den Weg in ein neues Leben.

Was den Unterschied zwischen Szenario 1,2,3 und Szenario 4 ausmacht? Genau zwei Dinge:
  • geschulte Mitarbeiter in Organisationen, die mit funktionalen Analphabeten häufig in Berührung kommen (wie z.B. Beratungsorganisationen, Gesundheitsorganisationen, etc.)
  • ein aktives Netzwerk von solchen beteiligten Organisationen, das sich regelmäßig trifft und austauscht
Um genau diese zwei Voraussetzungen für ein effektives Erkennen von Lese- und Schreibschwachen und eine schnelle und unkomplizierte Hilfe zu ermöglichen, werden Alpha-Bündnisse gegründet. Sie sind die Netzwerke, die gezielt persönliche Kontakte zwischen beteiligten Organisationen entstehen lassen und dafür sorgen, dass diese Kontakte auch gehalten werden können.

Zugegeben, ich habe die Szenarien zugespitzt formuliert, aber im Idealfall können persönliche Kontakte zwischen engagierten Mitarbeitern tatsächlich Leben verändern. In Diskussionen mit Beteiligten und Fachleuten wird diese Art der Investition immer wieder als effektivste Maßnahme zur Verringerung von Lese- und Schreibschwäche benannt (siehe auch meinen letzten Blogentry zur LISUM-Tagung).