- Das Unterrichten in niedrigschwelligen Kursen gibt mir das Gefühl, wirklich einen Unterschied im Leben von Menschen zu machen - und zwar einen ganz fundamentalen Unterschied. Wer z.B. nicht ausreichend lesen und schreiben kann, kann nicht angemessen an der Gesellschaft teilhaben. Genauso ist es, wenn man in einem Land lebt, in dem man die Sprache nicht versteht. In anderen Kursen ist das anders: ob ein irischer Bankmitarbeiter nun Deutsch sprechen kann, oder nicht, wird dessen Lebensqualität nicht entscheidend beeinflussen.
- Ich bin neugierig auf die Menschen, deren Leben so viel anders ist, als meines. Dabei wird es für mich immer wieder deutlich, dass die Kursteilnehmer/innen große Fähigkeiten und Kenntnisse in den verschiedensten Bereichen haben. Geringe Sprachkompetenzen sind kein Maß, an dem man einen Menschen messen darf. M., zum Beispiel, hat in El Salvador einen Bürgerkrieg überlebt, sie hat mit 15 ihr erstes Kind und mit 40 ihr letztes Kind bekommen, sie hat Heimat und Familie zurück gelassen – und sie hat trotzdem durchgehalten und sich eine große Lebenslust bewahrt. Sie ist eine großartige Köchin, Tagesmutter und Malerin, und sie ist nur ein Beispiel von vielen. Ich kann selbst so viel von den Kursteilnehmern/innen lernen.
- Es ist für mich eine besonders spannende Herausforderung, nicht ‚nur’ die Sprache so zu unterrichten, wie ich es selbst beim Erlernen einer Fremdsprache erlebt habe. Statt dessen kann ich in Bereiche vordringen, die für einen schriftsprachlichen Menschen so sehr schwer vorstellbar sind: Wie ist es, nie auf die Schule gegangen zu sein und daher weniger in Strukturen und Regelhaftigkeit zu denken?
- Ich finde es auch interessant, beim „Schriftsprachentdeckungsprozess“ dabei zu sein und Aha-Erlebnisse mitzubekommen: „Ich bin so lange an diesem Schild vorbeigelaufen, jetzt weiß ich, was es bedeutet“. Für mich gibt es nichts Schöneres, als ein ehrliches „Ach so ist das, jetzt verstehe ich das endlich!“
Außerdem haben viele Lerner/innen schwere Geschichten durchgemacht, die sie teilweise in den Kursen verarbeiten. A., z.B., hat starkes Heimweh nach seiner Heimat in Samoa, M. weint bei einem Film über die Wiedervereinigung, weil sie sich an ihre eigenen Gewalterfahrungen in einem Bürgerkrieg erinnert. Die meisten bedrücken finanzielle, gesundheitliche, soziale Probleme (Schulden, Süchte, Streitigkeiten innerhalb der Familie), und es kann zu zwischenmenschlichen oder interkulturellen Auseinandersetzungen innerhalb des Kurses kommen. Allerdings sind letzlich auch das Lernanlässe und Teil der Integration, wenn man es so nennen will, und der individuellen Entwicklung des Lerners/in.